«Am Anfang hat es mir das Herz zerrissen»

Wenn es um das Trift-Projekt geht, dann macht niemand einen so grossen Spagat wie er: Walter Brog. Der Gemeindepräsident von Innertkirchen war 15 Jahre lang Hüttenchef der Trifthütte und gleichzeitig 16 Jahre im Verwaltungsrat der Kraftwerke Oberhasli AG, kurz KWO. Letztere plant im Triftgebiet oberhalb von Gadmen einen neuen Stausee mit einer 130 Meter hohen Staumauer. Dieser Mauer soll künftig die von Walter Brog realisierte und für den regionalen Tourismus wertvolle Trift-Hängebrücke weichen.

In der Brust des 56-jährigen Walter Brog aus Innertkirchen schlagen zwei Herzen: Eines schlägt für die KWO, die für die Region in den vergangenen Jahrzehnten so wichtige Arbeitsplätze brachte und bei der er 16 Jahre im Verwaltungsrat Einsitz hatte. Und das andere schlägt für die Triftregion. 15 Jahre lang war Walter Brog Hüttenchef der Trifthütte und kennt das Gebiet in- und auswendig. Er war es, der Anfang der 2000er-Jahre mit der Idee einer Hängebrücke über das Gebiet des Triftgletschers kam. Viele rieten ihm davon ab, stempelten ihn als «Spinner» ab. «Immer wenn eine grosse Mehrheit sagt ‹das gehe nicht›, dann bekomme ich maximale Energie», sagt der Gemeindepräsident von Innertkirchen. 2004 wurde die 100 Meter hohe und 170 Meter lange Hängebrücke schliesslich von seiner eigenen Firma X-alpin realisiert. Diese erleichterte nicht nur den Zustieg zur Trifthütte, sondern kurbelte auch den regionalen Tourismus kräftig an. «Das Gadmertal war zu der Zeit etwas eingeschlafen. Mit der Trift-Hängebrücke fingen die Einheimischen aber an zu merken: Aha, da tut sich tatsächlich etwas bei den Übernachtungen», erinnert sich Walter. Die Region kam in Schwung, es entstanden plötzlich Übernachtungsangebote wie die Gadmerlodge in Gadmen oder das Triftblick Bed & Breakfast in Nessental. «Durch die Hängebrücke hat ein Umdenken stattgefunden und die Bevölkerung merkte, dass im Tourismus viel Potential steckte».

Eckdaten zum Trift-Projekt

  • Projekt Neubau Speichersee mit Kraftwerk
  • Staumauer 130 Meter hoch
  • Bauzeit Acht Jahre
  • Baubeginn Frühestens 2029
  • Kosten 452 Millionen Franken (Stand 2023)

Staumauer statt Hängebrücke

2007 wurde Walter Brog in den Gemeinderat von Innertkirchen gewählt und ist seit Anfang 2008 Gemeindepräsident. Zu der Zeit war er auch im Verwaltungsrat der KWO. «Das Thema der Stromknappheit hatten wir damals schon auf dem Tisch, das gibt es nicht erst seit zwei Jahren», sagt Walter. Durch den Rückgang des Triftgletschers bildete sich in der Triftregion ein grosses Geländebecken mit einem See und somit ein Ort mit viel Potential für einen Stausee. «Als die ersten Gedanken bei den KWO dazu aufkamen, in der Triftregion einen Stausee mit einer Staumauer zu bauen, zerriss es mir das Herz», sagt Walter und fügt an, «unzählige Stunden verbrachte ich in diesem Gebiet. Und mir wurde natürlich schnell klar, dass die Hängebrücke der Staumauer weichen müsste.» Aus einer Idee wurde ein konkretes Projekt, das Trift-Projekt. Darin enthalten sind unter anderem ein Speichersee mit einer 130 Meter hohen Staumauer und ein Wasserkraftwerk, das vor allem im Winter Strom produzieren soll. Mittlerweile gehört das Projekt zu den 15 Wasserkraftprojekten, die am «Runden Tisch Wasserkraft» vom Bundesrat 2021 als prioritäre Ausbauprojekte für mehr Energie und zusätzlichen Winterspeicher definiert wurden. «Die Problematik der Strommangellange war mir natürlich bewusst, und somit galt es, die Vor- und Nachteile abzuwägen», sagt Walter. Ein Nachteil ist, dass die Trift-Hängebrücke, die als einer der wichtigsten Tourismusmagnete der Region gilt, der Staumauer weichen muss. «Das tut mir natürlich besonders weh. Aber wir dürfen nicht denken, dass keine Gäste mehr ins Tal kommen, nur weil die Triftbrücke nicht mehr da ist. Unsere Region hat noch riesiges Potential». Auf der anderen Seite erkennt Walter auch das Potenzial des Trift-Projekts. «Das Gebiet eignet sich topografisch sehr gut für einen Speichersee, und verhindern werden wir das Projekt nicht mehr. Darum müssen wir nun das Ganze als Chance für unsere Region betrachten», sagt er.

«Es wird Spannungen geben, da dürfen wir uns nichts vormachen»

Acht Jahre Bauzeit sind für das Trift-Projekt vorgesehen, gestartet wird frühestens im Jahr 2029. Rund 25 Fussballfelder Installationsfläche für Betonwerke, Kiesaufbereitungsanlage und Zwischendeponien werden in Gadmen für das Bauvorhaben benötigt. Kommt dazu, dass Containerunterkünfte mit bis zu 250 Schlafplätzen gebaut werden müssen. Die Einwohnerzahl vom Dorf Gadmen wird also quasi vervierfacht. «Das wird Spannungen geben, da dürfen wir uns nichts vormachen. Wichtig ist aber, dass nach den acht Jahren Bauzeit wieder Ruhe und Idylle einkehrt», sagt Walter. Dafür sorgen sollen gesellschaftliche Ausgleichsmassnahmen, vor allem im Bereich Tourismus. Dafür ist die Gemeinde im regen Austausch mit den KWO. «Seitdem das Projekt konkretere Züge annimmt, beginnen die Leute im Tal zu realisieren, was da tatsächlich auf sie zukommt. Viele teilen ihre Ängste und Sorgen mit der Gemeinde. Deshalb ist es wichtig, dass wir mit der KWO und der Bevölkerung nachhaltige und verträgliche Lösungen finden», sagt Walter. Bis zum möglichen Baustart dauert es noch mindestens fünf Jahre. Für Walter wertvolle Zeit, um Gadmen auf die bevorstehende Herausforderung vorzubereiten.

Text: Lukas Ziegler
Bilder: Lukas Ziegler und KWO

Erschienen im Oktober 2024

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