Einen Tag proben genügt

Eines der führenden Klassik-Jugendorchester der Schweiz ist im Toggenburg beheimatet. Bei «Il Mosaico» spielen rund 60 Schülerinnen und Schüler mit. In den Sommerferien lernen einige von ihnen andere Musikstile und internationale Stars kennen, wie zum Beispiel die syrische Sängerin Dima Orsho.

Angeregtes Gemurmel erfüllt die Haupthalle der Kirche Offener St. Jakob in Zürich. Aus dem Nebenschiff hört man ein wildes Gedudel von Geigen und Cellos, Flöten und Klarinetten. Rund 200 Menschen haben sich an diesem heissen Freitagabend Mitte August eingefunden, um ein spezielles Konzert zu erleben: Klassik trifft hier auf orientalische Klänge. Junge Musikerinnen und Musiker des Orchesters «Il Mosaico» aus dem Toggenburg treten zusammen mit der syrischen Sängerin Dima Orsho und dem palästinensischen Oud-Spieler Marwan Abado auf. Diese Zusammenarbeit ist das Sommerprojekt von «Il Mosaico». Möglich wurde sie dank dem grossen Beziehungsnetzt des Orchesterleiters Hermann Ostendarp. Er knüpft und pflegt Kontakte zu Musikerinnen und Musikern verschiedenster Länder und Genres.

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Grosse Motivation, kurze Probezeit

Das 18-köpfige Schweizer Ensemble mit aktiven und ehemaligen Mosaico-Mitgliedern übte die Stücke eine Woche ein. Mit den internationalen Gästen geprobt haben die jungen Leute einen einzigen Tag. «Ich bin hochzufrieden mit dem Ensemble, es ist grossartig», sagt die international bekannte Sängerin und Komponistin Dima Orsho kurz vor dem Konzert. «Das Orchester war perfekt vorbreitet.» Das ist vor allem einem Mann zu verdanken: Hermann Ostendarp. Seit 33 Jahren ermöglicht der Orchesterleiter, Dirigent und Musiker an der Kantonsschule Wattwil und in der Musikschule Toggenburg den Kindern von 13 bis 18 Jahren den vertieften Zugang zur Musikwelt. «Viele sagen mir, dass sie das Orchester mal als Kind in einem Konzert erlebt hätten. Ältere Kinder so zusammen spielen zu sehen, das sei ein Riesenmotivationsschub gewesen, selbst auch besser zu werden.»

Denn bevor die Kinder ins Orchester kommen können, üben sie mehrere Jahre ihr Instrument. Das muss sitzen, denn im Orchester geht es um ganz andere Themen wie Rhythmus, Intonation und Zusammenspiel. «Aber eine meiner wichtigen Aufgaben ist es, die Kinder fürs eigenständige Vorbereiten zu begeistern», sagt Ostendarp, «Sie spüren meistens zuerst die Mühen der Arbeit bei den Proben und zu Hause», sagt er, «aber dann auch die grosse Befriedigung und Freude am Konzert, wenn sie die Früchte der eigenen Arbeit ernten dürfen.»

Den Horizont erweitern

Dass ihm das Orchester weit mehr bedeutet als einfach ein Job, das zeigt sich auch daran, dass Ostendarp gegen 16 Uhr als einer der ersten in der Kirche in Zürich eingetroffen war. Ruhig und routiniert richtete er mit einigen der Jugendlichen die Bühne ein, montierte Mikrofone, testete die Akustik. Seine bedachte und hochkonzentrierte Art ist wohl ansteckend. Jedenfalls war keiner der jungen Leute nervös vor dem Auftritt – mit einer Ausnahme. Amira studiert Klarinette an der Musikhochschule und sagt: «Ich bin erst gestern angefragt worden, jemanden zu ersetzen, und hatte heute morgen zwei Stunden Zeit, die Stücke ein bisschen zu üben.» Aber das werde schon gut kommen, meint sie dann.

Wie immer gab es vor dem eigentlichen Konzert eine Probe. Dabei konzentrierte sich der Orchesterleiter auf schwierige Übergänge und heikle Passagen und gibt Amira die Chance, in die Stücke reinzukommen. Etwa um 18 Uhr war Schluss mit den Proben. Die 15- bis 26-jährigen versammelten sich draussen vor der Kirche zum Picknicken. «Das Schöne an dem Sommerprojekt ist, dass es noch familiärer ist als sonst», sagt Nina, eine der Violinistinnen, «und die Musik von Dima Orsho ist eine Bereicherung. Sie ist technisch nicht ganz so kompliziert, aber es tut einfach gut, den Horizont zu erweitern.» Es ist diese Offenheit, die Ostendarp seinen Schützlingen mitgeben möchte. Deshalb hatte das Orchester schon Kontakt mit Menschen und Kulturen vieler Länder in Europa oder Übersee, so z.B. mit Japan, Brasilien, den USA, Aserbaidschan oder jetzt mit dem Nahen Osten.

Zum Abschied eine Brahms-Symphonie

Langsam strömen die Musikerinnen und Musiker zurück ins Seitenschiff der Kirche in Zürich. Rasch ziehen sie sich um, richten die Haare, helfen sich gegenseitig die Instrumente zu stimmen. Dann, unter grossem Applaus betreten sie die Kirche. Die Mischung von klassischen Elementen und syrischen Klängen begeistert wie schon in Lichtensteig und St. Gallen auch hier das Publikum. «Heute hatte es mehr tolle Momente als in St. Gallen», sagt Anna später in der Garderobe, «aber auch mehr Ups and Downs». Auch Ostendarp ist zufrieden: «Ein paar Sachen gibt es immer», sagt er leichthin und hilft einer Musikerin, ihre kaputte A-Seite an der Geige auszuwechseln. Denn morgen in Bern steht noch das letzte der fünf Konzerte an.

Es ist das letzte Sommerprojekt, das Ostendarp leitet. Im Mai kommenden Jahres wird der charismatische Orchesterleiter pensioniert. Verabschieden will er sich mit der Sinfonie von Brahms. Die Aufführung war eigentlich für das 30-Jahr-Jubiläum geplant gewesen. Doch dann kam einen Tag vor der Aufführung der Lockdown dazwischen. «Nun werden nochmals alle kommen, die damals mitspielen wollten», freut sich der 64-Jährige. Für diese Proben werden sie dann doch etwas länger als eine Woche brauchen.

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