Gadmer Königinnen für die ganze Schweiz

Bienen sind ohne ihre Königin verloren. Und passt die Königin nicht, gibt es ein schwaches Volk. Deshalb züchten Imker Bienenköniginnen gezielt. So auch Heidi Moor. Neben ihrem Job als Krankenschwester belieferte sie zusammen mit ihrem Mann Heinz Moor zeitweise die ganze Schweiz mit Gadmer Bienenköniginnen.

Keinen Meter steht Heidi Moor vor dem Flugloch des Bienenkastens entfernt. «Das geht längst nicht überall», sagt sie, «das liegt an unsere Bienen. Die sind sehr friedfertig. Normalerweise muss man mindestens zwei Meter Abstand halten von den Eingängen zu Bienenkästen, sonst greifen die Tiere an.» Seit mehr als 30 Jahren halten Heidi und Heinz Moor Bienen im Gadmertal. Für die Honigproduktion einerseits. Das ist Heinz Aufgabe. Andererseits, um Königinnen zu züchten. Dafür ist Heidi zuständig. Zeitweise konnte sie jährlich bis zu 160 Bienenköniginnen in der Schweiz verkaufen. Inzwischen hat Heidi die Zucht etwas zurückgefahren und erneuert mit jungen Königinnen vor allem die eigenen Völker.

Züchten, das bedeutet zunächst, jedes Volk im Bienenhaus zu beobachten. Denn am Volk erkennt die geübte Imkerin, ob die gewünschten Eigenschaften vorhanden sind: Friedfertig sollen die Bienen sein, leistungsfähig, einen guten Putztrieb haben, gesund sein und auf den Waben bleiben, wenn man einen Rahmen aus dem Bienenstock hebt. Leicht reizbare Bienen oder solche, die hektisch auffliegen, taugen weniger. Ist das am besten geeignete Volk ausgewählt, gehts los.

Stachel ohne Widerhaken

Viele haben schon einen Bienenstich erlebt. Nicht nur schmerzt der Stich uns Menschen, meist bleibt der Stachel wegen seinem Widerhaken stecken und die Biene stirbt . Anders ist es bei der Königin: Ihr Stachel hat keinen Widerhaken. Denn sie soll einen Stich überleben. Der Stachel dient ihr vor allem für eines: Sie tötet damit vor dem Hochzeitsflug Rivalinnen im eigenen Bienenstock.

Alles ist auf den Tag genau geplant

«Königinnen züchten ist ein Termingeschäft», sagt Heidi und zeigt einen detaillierten Zeitplan – und den Mondkalender. «Früher haben wir den Mondkalender ignoriert», sagt die 60-Jährige. «Die Folge: viele Stiche und hässige Bienen. Seit wir die wichtigsten Termine auf den Mondkalender abstimmen, ist das Vergangenheit.» Nur dieses Jahr ist alles ein bisschen anders: Es sei ein schwieriges Jahr, sind sich Heidi und Heinz einig. Der viele Regen im Frühsommer bringt alles durcheinander. Heute, exakt am Sonntag 7. Juli, hätten die neuen Königinnen schlüpfen sollen. Vor acht Tagen haben die Arbeiterinnen die entsprechenden Waben zugemacht – gedeckelt nennen das Imker. Exakt acht Tage brauchen die Insekten, um sich aus einer weissen, dicken Larve in eine elegante Bienenkönigin zu verwandeln – normalerweise. Doch diesmal dauert es länger. Schuld ist das ständig kühle Wetter.

Mit fast chirurgischer Präzision arbeiten

Zwölf Tage zuvor hat Heidi den heikelsten Arbeitsschritt gemacht. Sie hat die zukünftigen Königinnen quasi «erkoren» und in separate Brut-Zapfen umgelegt. «Umlarven» heisst das im Fachjargon. Diese Arbeit gleicht fast der einer Chirurgin. Mit einer haarfeinen, am Ende leicht gebogenen und verdickten Nadel hat Heidi mit ruhiger Hand jede ausgewählte Bienenlarve aus ihrer Wabe gehoben und in einen künstlichen Brutzapfen gelegt. Die Larve ist zu diesem Zeitpunkt gerade einen knappen Millimeter lang. Im Brutzapfen klebt die Larve in einer zuckrigen Lösung, dem Gelée royale. Sie ist das Magische und nur zukünftigen Königinnen vorbehalten. Denn die Ammenbienen entscheiden einzig mit der Art der Nahrung, ob aus der Larve eine Arbeiterin oder eben eine Königin wird. Heidi hat die Zapfen wieder zurück in den Bienenkasten gehängt und fünf Tage gewartet. Dann haben die Bienen die Zapfen verschlossen und die Königinnen setzten zur Umwandlung an. Diese Zapfen platzierte Heidi in einen kleinen, separaten Käfig um. Wären die frischen Königinnen wie geplant heute geschlüpft, hätte Heidi jede von ihnen einzeln in ein kleines Bienenkästchen gegeben. Das musste nun einen Tag warten.

Grün für diesjährige Königinnen, rot für jene aus dem Jahr 2023

Auf Nahaufnahmen einer Bienenkönigin ist manchmal ein farbiger Punkt auf ihrem Körper zu erkennen. Dank diesem Punkt sieht man die Königin im Bienenschwarm rasch. Imkerinnen erkennen an der Farbe aber auch das Geburtsjahr der Königin. Denn die Jahresfarben sind international einheitlich und wiederholen sich alle fünf Jahre in der gleichen Reihenfolge. Beginnend mit weiss folgen gelb, rot, grün und blau. 2024 ist das Jahr der grünen Königinnen. Fünf Farben reichen, weil das maximale Lebensalter einer Königin vier Jahre ist.

Hochzeitsflug auf der Alp

Am Montag ist es soweit: Im Kästchen wartet schon eine Suppenkelle voll Bienen. Ganz wörtlich, denn Heinz hat sie ein paar Stunden vorher tatsächlich mit der Kelle in die Box eingefüllt. Kaum ist die Königin zugegegen, wird sie von den Arbeiterinnen gefüttert und gehegt. Doch wegfliegen soll und kann sie noch nicht. Dazu bringen die Moors die kleinen Boxen hinauf auf eine Alp, wo extra viele, genetisch geeignete Drohnen – also Bienenmännchen – herumfliegen. Erst hier darf auch die Königin das erste Mal raus, zu ihrem Hochzeitsflug. Einmal begattet, kehrt sie in die Box zurück und der Start für ein neues Bienenvolk ist gelegt. Und für einmal kann Heidi den Terminkalender zur Seite legen – zumindest für einige Tage.

Text und Fotos: Alexandra Rozkosny

Erschienen im Oktober 2024

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