Heizen mit Zukunft
Die ehrenamtlichen Experten Martin Reich und Pierre Lancoud im Interview über Fernwärmeprojekte und wie die Schweizer Berghilfe diese unterstützen kann.
Die ehrenamtlichen Experten Martin Reich und Pierre Lancoud im Interview über Fernwärmeprojekte und wie die Schweizer Berghilfe diese unterstützen kann.
Ein riesiger Holzschnitzelberg türmt sich vor Martin Reich und Pierre Lancoud auf. Die beiden ehrenamtlichen Experten der Schweizer Berghilfe sind zu Besuch in Oey-Diemtigen, wo eine mit Holzschnitzel betriebene Fernwärme-Anlage einen Teil des Dorfes mit Heizenergie versorgt. Die Berghilfe hat in den vergangenen Jahren 16 solcher Anlagen – darunter jene in Oey – mitfinanziert. Die Experten Reich und Lancoud wissen, worauf es bei Fernwärme-Projekten ankommt.
Warum unterstützt die Schweizer Berghilfe Fernwärme-Projekte?
Martin Reich: Das Ziel der Berghilfe sind lebendige Berggebiete, und die gibt es nur, solange die Menschen dort Arbeit finden. Fernwärme-Anlagen schaffen Arbeitsplätze im Berggebiet. Nicht nur, weil sich jemand um den Betrieb kümmern muss. Es steckt eine ganze Wertschöpfungskette dahinter.
Pierre Lancoud: Genau. Es braucht jemanden, der das Holz häckselt und die Schnitzel zur Anlage transportiert. Und natürlich profitieren die Waldbesitzer und Forstreviere, die das Holz für die Fernwärme bereitstellen. Für Bauern, die selber Wald haben, kann dies ein wichtiges Nebeneinkommen sein.
Nun ist Fernwärme-Anlage nicht gleich Fernwärme-Anlage. Gibt es bei der Berghilfe grundsätzliche Ausschlusskriterien für die Unterstützung von Fernwärme-Projekten?
Lancoud: Nein, an sich ist keine Fernwärme-Projekt von vorneherein ausgeschlossen. Wir sind bereit, sowohl grosse als auch kleine Fernwärme-Anlagen zu unterstützen.
Reich: Immer vorausgesetzt, dass unsere üblichen Unterstützungskriterien erfüllt sind, wie zum Beispiel, dass die Anlage im Berggebiet steht, dass sie von den Projektträgern nicht vollständig aus eigener Kraft finanziert werden kann und dass nur eine Restfinanzierung beantragt wird.
Worauf müssen Gesuchsteller von Fernwärme-Projekten denn speziell achten, wenn sie bei der Berghilfe ein Gesuch einreichen?
Reich: Bei so komplexen und teuren Projekten wie Fernwärme-Anlagen erwarten wir eine fundierte Projektierung und einen soliden Businessplan. Die Zahlen müssen stimmen, sodass der Betrieb für die nächsten fünf, zehn Jahre sichergestellt werden kann. Zum Beispiel dürfen die Holzschnitzel nicht zu teuer sein und die Wärme nicht zu billig verkauft werden. Der Fragebogen für Fernwärme-Projekten kann bei der Projektplanung hilfreich sein.
Lancoud: Am Ende ist die Trägerschaft entscheidend. Es braucht gut qualifizierte, engagierte Persönlichkeiten, damit ein Fernwärme-Projekt erfolgreich und nachhaltig betrieben werden kann – und damit wir es unterstützen.
Sie beide sind die Fernwärme-Experten unter den ehrenamtlichen Experten der Berghilfe. Wie kam es dazu?
Lancoud: Bevor ich Berghilfe-Experte wurde, war ich Direktor einer Genossenschaft von Waldbesitzern im Waadtland und Unterwallis. Deshalb kenne ich mich mit Wald- und Holzwirtschaft aus und setze mich schon lange mit dem Thema Fernwärme auseinander.
Reich: Ich bin von Haus aus Betriebswirtschaftler und habe verschiedene Unternehmen geführt. Unter anderem war ich auch einige Jahre Geschäftsleiter einer Holzhandelsfirma. Bei den Fernwärme-Projekten der Berghilfe kann ich daher vor allem von der betriebswirtschaftlichen Seite her Input geben.
Wie heizen Sie bei sich zuhause?
Lancoud: Natürlich mit Holz. Meine Frau und ich haben eine Pelletzentralheizung.
Reich: Ich kann da leider nicht mit gleichen Erfahrungen mithalten – wir heizen ganz konventionell mit Öl. Vor zwei Jahren ist unsere Ölheizung ausgestiegen, das wäre eine Gelegenheit gewesen, eventuell auf Holz umzusteigen. Am Ende haben wir dann aber doch nur den bisherigen Heizkessel und Brenner ersetzt.
Warum?
Reich: Das war einerseits eine pragmatische Entscheidung. Meine Frau und ich sind nicht mehr die Jüngsten und die Investition in eine eigenständige Holzschnitzel-Heizung hätte sich wahrscheinlich nicht mehr amortisiert (lacht). Andererseits gab es für uns keinen Fernwärmeanschluss in erreichbarer Umgebung. Man muss schon sagen: Der Anschluss an ein Fernwärmenetz kann bei grosser Distanz ein erheblicher Kostenfaktor sein.
Lancoud: Dafür stinkt es in der Wohnung nicht nach Öl (lacht).
Reich: Stimmt. Ich weiss nicht, ob man abgesehen davon den Unterschied von einer Holz- zu einer Ölheizung beim Wohnen wirklich wahrnimmt. Wahrscheinlich ist es eher psychologisch. Aber Holz vermittelt ein wohligeres Gefühl. Und man unterstützt einen nachhaltigen, CO2-neutralen Rohstoff, der vor unserer Haustür wächst.
Würden Sie denn prinzipiell zu Fernwärme-Anlagen raten?
Reich: Als Berghilfe-Experten sind wir wettbewerbsneutral und sollten nicht für die eine oder andere Energieform plädieren. Aber wir können Bergregionen darauf aufmerksam machen, dass Fernwärme-Holzschnitzelheizungen insofern interessant sind, als sie Wertschöpfung und Arbeitsplätze bringen.
Lancoud: Längerfristig lohnen sich Fernwärmeanlagen auch für den Endverbraucher. Der Kilowattpreis von Holzschnitzelheizungen ist vergleichbar mit jenem von Ölheizungen und darüber hinaus fallen die jährlichen Wartungskosten für den Heizkessel weg. Ausserdem ist Holz ein Rohstoff mit Zukunft: Unsere Wälder wachsen. Pro Jahr kommen 10 Millionen Kubikmeter Holz hinzu – und wir nutzen gerade mal die Hälfte.
Welches war die spannendste Fernwärme-Anlage, die Sie als Berghilfe-Experten besucht haben?
Lancoud: Am spannendsten fand ich das Projekt der «Société de laiterie des Moulins» bei Château-d’Oex im Kanton Waadt. Die Bio-Käserei wollte nicht nur bei ihren Produkten, sondern auch bei der Wärme auf einen lokalen Rohstoff setzen. Als erste Käserei in der Schweiz verarbeiten sie die Milch nun mithilfe einer Holzschnitzel-Heizanlage zu Käse. Die Anlage musste genau auf die Bedürfnisse zugeschnitten sein, denn so eine Käserei hat einen viel grösseren Energiebedarf als ein Wohnhaus.
Reich: Mich hat das Fernwärme-Projekt in Eischoll im Kanton Wallis beeindruckt. Das 500-Seelen-Dorf hat sich zum Ziel gesetzt, dereinst seine gesamte Energie selber zu produzieren. Dafür wurde 2012 eine grosse Fernwärmeanlage mit über 60 Anschlüssen und drei Riesensilos für die Holzschnitzel gebaut. Erst kürzlich habe ich Eischoll wieder besucht im Zusammenhang mit einer Auswertung der bisher von der Berghilfe unterstützten Fernwärmeprojekte. Dabei konnte ich mit Freude feststellen, dass das Projekt Eischoll alle Erwartungen erfüllt hat.