«Regen und Nebel – das ist unser Wetter!»

Beat Oehler, Chef der Rettungskolonne Wildhaus-Amden, hat in seinen 20 Jahren als Retter einige sehr tragische Situationen erlebt, aber auch viel Dankbarkeit und Freude erfahren.

Nebelschwaden ziehen durch das Tal der Teselalp oberhalb von Wildhaus. Es regnet leicht, ein kühler Wind geht. Schneereste liegen in den Hängen. Irgendwo ertönt der Balzruf des Auerhahns. Vom Wetter unbeirrt, versammeln sich an diesem Spätfrühlingsmorgen rund 20 Leute in bester Laune neben einigen Alpgebäuden. Alle in leuchtend gelb-schwarzer Montur.

«Das ist unser Wetter. Wenn es regnet und neblig ist, dann braucht es die Rettungskolonne. Sobald die Sicht genug gut ist, rettet man lieber mit dem Helikopter», sagt Beat Oehler. Der 49-Jährige ist seit sechs Jahren Chef der Rettungskolonne Wildhaus-Amden. Insgesamt ist er schon 20 Jahre ehrenamtlicher Bergretter. Seine Aufgabe ist es, mit dem Team erschöpfte Bergwanderer, blockierte KletterInnen oder abgestürzte Personen aus den Bergen zu retten – oder sie überhaupt zu finden. Rund 30 freiwillige Retter und Retterinnen sind in dieser Rettungskolonne tätig. «Wir haben alles querbeet, vom Wildhüter, Zimmermann, Dachdecker, Spengler bis zur Rettungssanitäterin». Nur zwei im Team sind ausgebildete Bergführer. Etwa 20 bis 25 Einsätze pro Jahr gibt es zu bewältigen. «Sehr oft bin ich als Retter im Helikopter dabei. Nur etwa einen Viertel machen wir vom Boden aus. Aber genau für dieses Viertel üben wir regelmässig.»

Vom Boden retten ist Teamarbeit

Heute geht es darum, eine Felswand von unten hochzuklettern, um eine in der Wand blockierte Person sicher hinunterzubringen. Nach dem kurzen Aufstieg reiht sich die Truppe entlang des Wandfusses auf. Beat teilt sie in zwei Teams auf. Metallkarabiner klimpern, Seile werden ausgepackt und zwei tragbare Seilwinden bereit gemacht. Je eine Person pro Team klettert etwa 30 Meter hoch, installiert Bohrhaken, hängt Karabiner und Seile ein. Beat beobachtet alles von unten, gibt da und dort Tipps, und macht auch mal einen Scherz. «Wir sind eine bunt gemischte Truppe, und wenn wir uns zu den Übungen treffen, haben wir es auch lustig, das ist nicht immer todernst. Der Humor ist enorm wichtig.»

Erster Einsatz im Helikopter bleibt für immer in Erinnerung

Beat selbst absolvierte eine zusätzliche Ausbildung zum «Rettungsspezialisten Helikopter», kurz «RSH», um auch bei Helikopter-Rettungen dabei sein zu können. Der RSH braucht es dann, wenn sich der Patient in sehr schwierig zugänglichem, steilem Gelände befindet und der Helikopter nicht landen kann. Dann wird der RSH mit der Helikopterwinde beim Patienten abgesetzt. «Meine erste Rettung als ‹RSH› bleibt mir wohl für immer in Erinnerung. Ich musste eine junge Kletterin bergen, die tödlich verunglückt war. Es war schönes Wetter, aber der Föhn blies stark. So konnten wir nicht an die Felswand heranfliegen, und ich musste genau das machen, was wir heute in der Teselalp üben: Ich musste zur Seilschaft hochsteigen. Oben angekommen, konnte der Heli immer noch nicht näher fliegen und es blieb uns nichts anderes übrig als die Verunglückte und ihren Kletterpartner abzuseilen. So etwas bleibt einem. Zum Glück sind wir nach so traurigen Einsätzen gut betreut. Das Rettungsteam hat mich danach fast täglich angerufen, um zu fragen, wie es mir geht.»

Rettungskolonne und Rega

Wenn ein Bergunfall geschieht, wird heute in der Schweiz meistens ein Rettungshelikopter aufgeboten. Wenn aber wegen Nebel oder Sturm die Sicht zu schlecht ist oder die Winde zu stark sind, dann kann der Helikopter nicht fliegen. In diesen Fällen macht sich ein Rettungsteam, auch Rettungskolonne genannt, vom Boden aus daran, den Verunfallten zu erreichen oder eine Vermisste zu suchen. In weiten Teilen der Schweiz werden diese Teams organisiert und ausgebildet von der Alpinen Rettung Schweiz.
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Lieber einmal zu viel den Notruf wählen

Inzwischen, auf der Teselalp, haben sich zwei der Retter als «Opfer» in die Felswand gehängt. Zwei weitere lassen sich mittels Seilwinden langsam zu ihnen hinaufziehen. Je vier bis sechs der Kollegen bedienen die Seilwinden. Es regnet in Strömen. Beat verfolgt das Geschehen aufmerksam, dennoch hat er Zeit, weiter zu erzählen: «Ich habe aber auch viel Schönes erlebt und tolle Bekanntschaften machen dürfen. Die meisten, die wir retten, sind nicht schwer verletzt, sondern haben sich eher verstiegen. Da erleben wir dann direkt die grosse Freude und Erleichterung bei der Rettung. Es gibt solche, die wollen uns grad zum Nachtessen einladen oder sie schicken Kuchen, andere spenden sogar. Einige schämen sich auch, dass sie sich verstiegen haben und gerettet werden müssen. Da sage ich immer, dass es uns viel lieber ist, sie so retten zu dürfen, als wenn dann etwas passiert.»

Inzwischen sind die Retter mit den «Opfern» wieder am Wandfuss angekommen, die Übung ist fast beendet. Das Team packt die Ausrüstung zusammen, steigt ab und fährt zurück ins Depot. Denn was immer auch dazu gehört: Alles Material säubern, trocknen und aufräumen. Damit es im Notfall innert Minuten griffbereit ist.