Stickerin, Strahlerin und Schützin

Monika Bollhalders Leben hat weit mehr als drei Facetten. Als Bäuerin aufgewachsen, wurde sie Handmaschinenstickerin, Strahlerin und hervorragende Schützin. Und dabei reiste sie weit herum. Heute ist sie glücklich, wenn sie anderen die Tradition der Handstickerei zeigen kann.

Von aussen sieht Monika Bollhalders Haus wie ein typisches Toggenburger Bauernhaus aus. Geht man innen in den ersten Stock und öffnet die rechte Tür, entdeckt man einen grossen, angebauten Raum, von zwei Seiten mit einer durchgehenden Fensterreihe erhellt. Und mittendrin steht eine riesige, fünf Meter lange Maschine. Sie nimmt fast den ganzen Platz ein. Es ist eine Handstickmaschine, eine der letzten in der Schweiz.

«Ich komme aus einer Bauernfamilie, gleich da unten im Talboden bin ich aufgewachsen. Das Haus, in dem ich jetzt wohne, das hat mein Vater dazu gekauft, gerade als ich auf die Welt kam», sagt Monika Bollhalder. «Ich war ein Bauernmädchen, aber als junge Erwachsene arbeitete ich bald an verschiedenen Orten, im Laden, in Hotels. Der Vater sagte dann: «Geh du im Büchel oben sticken, du bist der Typ dazu.» Er meinte dieses Haus hier. Es hatte schon diesen Raum, der Sticklokal heisst, weil früher eine Stickmaschine dringestanden hatte. Der Raum war damals aber leer. So fragte ich, 25-jährig, eine Firma an, ob sie noch Stickerinnen brauchen. Die war begeistert, ihr fehlten zusätzliche Fachkräfte. Ich lernte dann drei Monate lang an einer Fachschule mit der Maschine sticken. Dann stellte man mir diese Maschine ins Haus und ich konnte für die Firma arbeiten, zehn Jahre lang. Ich stickte Taschentücher, Servietten, einfach alles, was in Serien hergestellt werden musste. Ich hatte viel Arbeit, es war eine tolle Zeit. Für die alten Leute war es eine Sensation, was ich machte. Weil das Gewerbe fast ausgestorben war. Und jetzt war da eine wieder am sticken. Ich hatte dadurch viel Besuch auf der Arbeit, war gar nicht so allein.»

Eine Maschine für Kleinserien

Monika Bollhalders einfaches Haus mit dem Anbau zeugt von der vielfältigen Textilindustriegeschichte der Ostschweiz. Schon 1903 war der Raum an das Haus angebaut worden. Das war in der Blütezeit der Handmaschinenstickerei gewesen. «Zwischen 1880 und 1930 war Hochkonjunktur: In der Ostschweiz gab es zweitweise rund 18 000 Stickmaschinen», sagt Monika Bollhalder. «Überall baute man Sticklokale an die Häuser, in diesem Haus stand sogar eine zweite Maschine im Keller.» In der Weltwirtschaftskrise in den 1930-Jahren litt alles, und auch die Stickerei in der Ostschweiz brach zusammen. Nach dem zweiten Weltkrieg erlebte die Handmaschinenstickerei ein kleines Revival. «Mit der Maschine kann man kleinere und spezieller Aufträge machen. Mit dem Automaten kann man gut Meterware besticken, aber eine Serie von Taschentüchern, das geht nicht. Dafür braucht es die Handstickmaschine. Mit ihr kann ich 100 Taschentücher aufs Mal besticken. Jede Bewegung, die ich im Grossen mache, macht die Maschine in einem viel kleineren Masstab exakt gleichzeitig mit 100 Nadeln. Dazu braucht es auf der Seite der Maschine eine Art Übersetzung, die heisst Pantograf. Ich bewege den Arm des Pantografen und 100 Nadeln stechen durch den Stoff. Bei jedem Stich wird aber nicht die Nadel bewegt, sondern der Stoffrahmen.»

Handstickereimaschine besichtigen

Monika Bollhalders Maschine kann direkt besichtigt werden. Monika weiht Gäste gern in die Kunst des Stickens ein. Stickereien können vor Ort gekauft werden. Hier Termin vereinbaren.
Kontakt für eine Besichtigung

Kristalle suchen und bis nach Panama reisen

Während MonikasGeschwister, ein Bruder und drei Schwestern, heirateten und wegzogen, blieb sie selbst nahe bei den Eltern. Und war doch das umtriebigste der fünf Kinder. Sie malte und fotografierteund reiste viel. «Ich habe gestrahlt, also Kristalle gesucht, im Wallis, im Walsertal, in Deutschland. Auf Elba fand ich etwas Pyrit, und im Toggenburg einen grossen Kalzit. Ich hatte Nachbarn, mit denen ging ich viel strahlen, so im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Wir machten viele Ausflüge. Ja, da war ich schon fit. Ich bin die Berge fast hochgerannt mit Hammer und Meissel.» Doch da war noch Energie für mehr: «In dieser Zeit reiste ich und flog sogar, nach London, Paris, Jugoslawien, Elba. Als junge Frau, knapp 25-jährig, gelangte ich sogar bis nach Panama, ich hatte dort eine Tante in einem Kloster. Ich war die erste unserer Familie, die meine Tante besuchte.»

20 anstrengende Jahre

Da begann es zu kriseln in der Firma, Monika bekam immer weniger Aufträge. So ging sie etwa zehn Jahre noch zusätzlich in einem Hotel als Zimmermädchen arbeiten. Vor knapp 25 Jahren hörte die Firma ganz auf mit der Handstickerei – und verschenkte die Maschine kurzerhand an Monika. «Das war für mich Gold wert. Ich versuchte an verschiedenen Orten zu arbeiten und dazwischen mit Handstickaufträgen noch etwas dazu zu verdienen. Manchmal kam eine Gruppe die Maschine besichtigen, und so kam ich knapp über die Runden. 20 Jahre lang hatte ich keine feste Stelle, immer musste ich verschiedenste Jobs annehmen und gleichzeitig der inzwischen über 90-jährigen Mutter schauen. Es war unglaublich streng», sagt die Toggenburgerin. Von der Berghilfe hat sie aber nie Unterstützung erhalten.

Und doch fand sie noch etwas Zeit für eine neue Leidenschaft. Mit knapp 35 Jahren begann sie mit dem Sportschiessen. «Als ich mit dem Schiessen anfing, war ich fanatisch, es hat mich einfach gepackt. Ich trainierte viel, und ging fast an jedes Schützenfest.» Von Monikas Erfolgen zeugt eine ganze Wand voll Kranz-Medaillen, die die eine Seite des Sticklokals ziert. «Jetzt bin ich pensioniert und sticke einfach, wenn es mir passt. Hin und wieder nehme ich noch kleine Aufträge an. Und neuestens sticke ich auch noch im Volkskundemuseum Stein. Das mache ich sehr gern. Es ist eine enorm schöne Aufgabe, den Leuten dieses alte Handwerk zeigen und erklären zu dürfen. Ich bin eine der letzten, die das noch können.»