Erster Klettersteig der Schweiz führt durch die Gadmerflüe

Klettersteige gibt es in der ganzen Schweiz, in allen Längen und Schwierigkeitsgraden. Der älteste liegt im Gadmertal. Eingerichtet hat ihn der Bergführerverein Haslital in Fronarbeit zu seinem 100-Jahr-Jubiläum vor über 30 Jahren.

Klettern an Eisenleitern, Stahlseilen und Metallstiften anstatt direkt mit den Händen den Fels halten oder Pickel ins Eis schlagen? Für Kletterer und Alpinistinnen klingt das zunächst gar nicht wie ein Vergnügen. Als 1993 an der Gadmerfluh der erste moderne Klettersteig der Schweiz eingerichtet wurde, zollten ihm einige dann doch Respekt. 600 Höhenmeter gilt es zu überwinden, 14 Leitern aufzusteigen. Und meist durchsteigt man fast senkrechte Felsen, von denen der Blick direkt zur Sustenpassstrasse hinunter reicht. Gefühlte 1000 Meter Luft unter den Sohlen hat man da. Und wäre das alles nicht genug, wartet auf Gipfelstürmer ein teilweise wegloser, zweistündiger Abstieg, dessen Verlauf im häufig am Nachmittag aufkommenden Nebel schwer zu finden ist. Eine ernste Sache also – und dennoch beliebt. «Ist der Klettersteig im Frühsommer endlich offen, gibt es deutlich mehr Übernachtungen in der Tällihütte», sagt Dres von Bergen. Er ist im Bergführerverband Haslital Ansprechperson für den Klettersteig.

Fronarbeit als Geburtstagsgeschenk

Die Idee zum Klettersteig hatte der Vater von Ernst Kohler, einem anderen, heute sehr bekanntes Mitglied im Bergführerverein Haslital. Kohler junior ist inzwischen Geschäftsführer der Schweizer Rettungsflugwacht Rega geworden. Und die Route, die fand noch ein anderer Bergführer im Verein. Einer übrigens, der viel lieber mit eigener Muskelkraft steilste Felsen hochkletterte: Kaspar Ochsner, Bergführer und weit über die Region bekannter Einrichter von Kletterrouten.

«Hunderte Stunden Fronarbeiten waren nötig, um die Metallstifte, Leitern und Sicherungsseile zu installieren», erzählt Dres. Ganz uneigennützig war der Einsatz der Bergführer nicht. Denn dem Verein gehört auch die nahe beim Klettersteig gelegene Tällihütte. «Wir wollten etwas für die Hütte einrichten, damit es mehr Besucherinnen und Übernachtungsgäste gibt», sagt Dres, «die Hütte sollte so wenigstens im Sommer selbstragend werde. Im Winter rentiert sie gar nicht, weshalb sie dann – wie auch der Klettersteig – geschlossen ist.»

Warum Bergführer Vereine gründeten

Bevor der Bergführerverein Haslital 1893 entstand, war die Situation für die lokalen Bergführer prekär: Ihre Arbeit war gefährlich und Versicherungen oder Renten gab es keine. Starb ein Bergführer, schafften es deren Familien oft nicht mehr über die Runden. Die Haslitaler Bergführer taten sich darum zusammen – wie andernorts in der Schweiz auch schon. Sie konnten so die Tarife bestimmen und einen Hinterbliebenenfonds einrichten. Zudem machten sie Bergwege sicherer. Wohl prominentestes Mitglied des Vereins neben Ernst Kohler, heutigem CEO der Rega, war Melchior Anderegg (1828–1914). Andereggs bekanntester Kunde war Leslie Stephen, der Mitgründer des englischen Alpine Club.
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Offen oder zu?

Richtig: Der Klettersteig ist, obwohl alles Material fix eingebohrt ist, nicht ganzjährig begehbar. Im Herbst montieren die Bergführer jeweils etliche Metallseile ab. «Vor allem in den Quergängen ist das nötig», erklärt Dres, «denn da kann auf den Seilen der Schnee liegen bleiben, und dessen Gewicht zerreisst alles.» Im Frühling heisst es dann, alles wieder einhängen und kontrollieren. Doch die Arbeit lohnt sich, die Übernachtungszahlen in der Hütte stimmen. Aber weil die Hütte und der Klettersteig so stark voneinander abhängen, läuft das Telefon beim Haslitaler Bergführerverein gegen Ende Mai oft nur wegen einer einzigen Frage heiss: «Offen? Oder noch zu?».

Älteste Klettersteige Europas

Erste, meist mit Hanfseilen und einfachen Leitern gesicherte Wege sind aus dem 15. Jahrhundert bekannt. Meist dienten sie den Bergbauern dazu, entlegene Weiden oder Alpen zu erreichen. Die eigentlichen «Via ferratas», also mit Eisen gesicherten Wege, entstanden im ersten Weltkrieg. In den Dolomiten sicherte sich das Militär mit Eisenleitern und -seilen die Grenzlinien an exponierten Gipfeln. Der erste, touristische Klettersteig wurde 1843 am Dachstein in Österreich eröffnet. Weitere folgten, unter anderem auch der allererste Klettersteig der Schweiz, der Pinut bei Flims. Dieser geriet aber wegen des ersten Weltkrieges für fast 100 Jahre in Vergessenheit und wurde 2007 saniert. Deshalb gilt der Tälli-Klettersteig nun als der älteste der Schweiz.

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Berghilfe unterwegs in Gadmen