Transit-Begegnungen auf dem Grimselpass

Für das Goms hatten die Alpenpässe schon immer eine enorm grosse Bedeutung. Früher brachten Säumer fremdländische Waren und neue Ideen ins Bergtal, heute werden die Pässe eher touristisch genutzt. Frühmorgens auf dem Grimsel treffen die unterschiedlichsten Menschen aufeinander.

Es ist 6.45 Uhr auf dem Grimselpass, es wird gerade so richtig hell. Noch ist es ruhig. Im Restaurant Alpenrösli brennt schon Licht. Dann ein basslastiges Grollen, das sich von der Berner Seite her nähert, kurz darauf eine schwarze Corvette, die vorbeibraust, dann wieder Ruhe.

Dann biegt ein kleiner, gelber Sportwagen auf den Parkplatz und ein junger Mann steigt aus. Der Paul aus Zürich sei er, und sein Gefährt ein Lotus Elise SC aus dem Jahr 2003. Paul ist um halb vier Uhr morgens aufgestanden, um über die Pässe Furka, Grimsel und Susten zu fahren. Er sei immer so früh unterwegs, bevor auf den Pässen von Velofahrern und Autos wimmle. «Am Morgen ist es friedlich. Wenn man ein bisschen sportlich fahren will, dann geht das tagsüber nicht, ohne dass man den anderen auf die Nerven geht.»

Eine freie Piste war für Edith Bänziger und Jan Gabi nicht der Grund, so früh aufzustehen. «Wir wollten eigentlich den Sonnenaufgang anschauen», sagt Jan. Aber es sei dermassen kalt geworden auf dem Töff, dass die beiden zuallererst ins «Alpenrösli» flüchten mussten. Dort tauen sie sich – Hände und Füsse an einem Heizkörper – wieder halbwegs auf, bevor es weitergeht. Heute ist eine klassische Pässefahrt angesagt, doch meistens sind die beiden eher länger unterwegs, mit Übernachtungen in Hotels zwischen den Etappen. Zum gemütlichen Tempo passe auch der Töff, so Jan. Die 20-jährige 1100er BMW sei zum Reisen gemacht und nicht zum Rasen.

Zwischen all den VW-Bussen und Fiat-Campern fällt ein Fahrzeug besonders auf: Ein ausgewachsener Lastwagen. Es sei eine ehemalige Scania-Zugmaschine mit aufgesetztem Kühlkoffer, sagt der Besitzer, der gerne übers Reisen und sein Gefährt redet, aber keinesfalls fotografiert werden will. Seine Frau und er wohnen im Kanton Bern. Sie sind mit dem Scania in ganz Europa unterwegs, dieses Wochenende aber zum ersten Mal überhaupt auf dem Grimsel.

Stammgast ist hingegen Fridu aus dem Berner Oberland. Er hat mit seinem Opel Speedster alle kurvigen Strassen zwischen Emmen- und Haslital schon hundert Mal abgefahren. Mit dem inzwischen weitergefahrenen Paul aus Zürich teilt er nicht nur seine Vorliebe für leichte Sportwagen, sondern auch die Ansicht, dass das Autofahren nach 10 Uhr keinen Spass mehr macht. Bei der Begründung ist er allerdings weniger diplomatisch: «Dann sind nur noch die Spinner unterwegs.» Damit gemeint sind «all die Plöffer mit ihren teuren Autos mit den lauten Klappenauspuffen, die sich inszenieren müssen. Aber bis die auftauchen bin ich schon lange wieder zu Hause.»

Dann dröhnt es kurz, und mit blubberndem Motor bleibt die Corvette vom frühen Morgen stehen. Der Fahrer ist schon wieder zurück von der Furka. Auch er einer von den Frühaufstehern. «Ich bin fast immer der Erste auf den Pässen», sagt er. Auch er ist der dezidierten Meinung, dass viel zu viele Schwachköpfe unterwegs seien, die die Passstrassen mit Rennstrecken verwechselten. «Ich fahre auch gerne zügig, aber ich verhalte mich respektvoll. Ich würde zum Beispiel innerorts nie den Motor aufheulen lassen.» Und noch etwas gehe gar nicht: unübersichtliche Kurven zu schneiden. Der Corvette-Fahrer, der seinen Namen lieber nirgends abgedruckt sehen möchte, trägt sogar extra ein entsprechendes T-Shirt an mit der Aufforderung «Stay in your lane». Inzwischen haben sich andere Fahrer von schnellen Autos dazugesellt. Offenbar ein richtiger Club der Frühaufsteher, denn die meisten kennen einander vom Sehen. «Wenn man sich kreuzt, grüsst man sich.»

Inzwischen ist es 9 Uhr geworden. Höchste Zeit, zum Weiterfahren. Kurz nachdem der Motor der Corvette nicht mehr zu hören ist, taucht um die letzte Kurve vor der Passhöhe der erste Velofahrer des Tages auf. Peter Schläppi ist kurz vor Tagesanbruch losgefahren. Dass dann noch wenig Verkehr herrscht, sei ein hübscher Nebeneffekt. Hauptsächlich sei er aber so früh los, weil er ab dem Mittag arbeiten müsse. Dazu ist ein weiterer Aufstieg nötig: Peter arbeitet nämlich als Hüttenwart in der Gelmerhütte. Weit weg von Passstrassen und schnellen Autos.

Die Schweizer Berghilfe leistet finanzielle Unterstützung, wenn das Geld nicht ausreicht, um ein zukunftsweisendes Projekt zu realisieren.