«Ich bestimme, wann der Zug fährt»
Seit über 100 Jahren ist das ganze Goms an den ÖV angeschlossen. Der bringt vor allem die weite Welt ins Tal, findet Martin Lagger.
Seit über 100 Jahren ist das ganze Goms an den ÖV angeschlossen. Der bringt vor allem die weite Welt ins Tal, findet Martin Lagger.
Er hebt die Hand, pfeift, springt in den rotweissen Zug, die Türen schliessen sich und der Zug setzt sich in Bewegung. «Ich bestimme, wann der Zug abfährt», sagt Manfred Lagger nicht ohne Stolz. Er ist Zugchef und an diesem Tag auf der Strecke Zermatt-Brig-Andermatt im Einsatz. Sein Job bei der Matterhorn Gotthard Bahn ist es, die Tickets zu kontrollieren und für die Sicherheit der aus- und einsteigenden Gäste zu sorgen. Und das bedeutet in den Sommermonaten vor allem, die zahlreichen, an den Bahnhöfen wartenden Velo-Fahrer auf die noch leeren Veloplätze zu verteilen. «20 Sekunden Halt pro Bahnhof haben wir», sagt Lagger. Das genüge nicht immer. Vor allem, seit immer mehr Gäste mit E-Bikes unterwegs seien. «An manchen Tagen ist der Zug so voll, dass ich nicht mehr durchkomme, um alle Billette zu kontrollieren.» Oft genug ist Martin Lagger aber auch einfach die «fahrende Auskunft» für Fragen von Touristen zum Tal und zur Landschaft.
Volle Züge gab es längst nicht immer. Als 1914 die Eisenbahnstrecke Brig-Gletsch eröffnet wurde, hoffte man auf rege Nachfrage.. Doch die lokale Bevölkerung konnte sich ein Zugbillett kaum leisten und Touristen gab es wegen des ersten Weltkriegs praktisch nicht. «In einem alten Dokument las ich, dass man sich schon um 1918 fragte, ob die Bahn noch gebraucht würde, da sie kaum rentierte», sagt Lagger. Doch es kam anders. Zwar musste 1923 die erste Gesellschaft Konkurs anmelden. Doch schon 1926 startete sie unter neuem Namen durch und fuhr im selben Jahr auch bis Disentis. Seither ist sie einer der wichtigsten Arbeitgeber im Tal. Aber sonst gewann die Bahn für die Gommer Bevölkerung in den ersten Betriebsjahren kaum an Bedeutung. Wenn die Einwohner reisten, dann eher nach Norden über den Grimsel oder nach Süden über den Nufenen, um Handel zu treiben. Touristen kamen hingegen ab den 1950er-Jahren immer mehr. Zuerst Alpinistinnen und Wanderer, heute vor allem Langläufer und eben Mountainbikerinnen.
Der Zug rollt jetzt durch Grengiols, keiner will aus- oder zusteigen. Ein Ruckeln, die Zahnräder hängen sich ein, dann wird es dunkel. In einer 360-Grad-Kurve im Berg schraubt sich die Bahn 60 Höhenmeter hoch. Hinauf ins Goms. Etwas später fahren wir in Münster ein, Lagger springt aus dem Zug, eilt an dessen Ende, wartet, hebt die Hand, pfeift, springt wieder auf den Zug. «Mein Heimatort», sagt er später im Furkatunnel. Sein Vater habe schon bei der Bahn gearbeitet. Er selber war nach der kaufmännischen Lehre beim Militär, aber die Welt habe ihn neugierig gemacht. Wie viele Gommer hat er bei der Schweizer Garde in Rom angeheuert. Aus geplanten zwei wurden sechs Jahre. «Seit 2017 bin ich wieder zurück im Wallis, aber ein Teil von mir wird immer in Rom bleiben», erklärt der 31-Jährige etwas wehmütig. Die Freude an Begegnungen mit fremden Menschen hat er heimgebracht. «Die Arbeit bei der Bahn gefällt mir sehr, man hat Kontakt mit Menschen aus vielen Nationen und wir Bahnmitarbeiter kennen wir uns alle. Da ist es sehr familiär.» Nur etwas hört er im Zug nach wie vor selten: Den Gommer Dialekt. Pendlern dauert es zu lange mit dem Zug nach Brig zu fahren, die meisten nehmen darum das Auto.