Zügeltag auf der Alp
Heute ist Zügeltag auf der Alp Curtginatsch. Der Melkstand zieht den frischen Weiden für die Kühe hinterher.
Heute ist Zügeltag auf der Alp Curtginatsch. Der Melkstand zieht den frischen Weiden für die Kühe hinterher.
Noch ist es dunkel, nur am Horizont zeichnen sich die Umrisse der Bergketten ab. Es ist fünf Uhr morgens. Auf der Alp Curtginatsch brennen schon die Lichter. Und draussen auf dem Vorplatz tanzen die Strahlen zweier Stirnlampen durchs Dunkel. Es sind die Hirten Marco Buff und Aron Csutoros, die sich bereit machen, die Kühe von der Weide zu holen. Knapp 100 Höhenmeter oberhalb der Alphütte treffen die beiden auf die Herde. Einige Kühe sind bereits am Fressen, andere liegen noch. «Hopp, hopp, üüfstah», ruft Marc, in dessen Dialekt so früh am Morgen das Wallis deutlicher herauszuhören ist als üblich. Einige seiner Lieblingskühe begrüsst er mit einem Kraulen über der Nase, zu anderen spricht er ein paar Worte. Dann geht es los. «Jöööoöööohööo» ruft Marc. «Eeeajajaj» kommt Arons Echo von ein paar dutzend Metern weiter. Langsam setzen sich die Kühe in Bewegung, trotten gemütlich talwärts.
Eine Viertelstunde später ist der grosse Platz hinter dem Alpstall voll mit den Tieren. Ab und zu ein Muhen. Ansonsten: geduldiges Warten. Im Melkstand drinnen ist die Arbeit in vollem Gange. Wenn das Tor aufgeht, marschieren jeweils neun Kühe selbständig hinein. Sie wissen meist genau, wohin sie müssen. Mit Holzwolle reinigen Marc und Aron jede einzelne Zitze, von Hand melken sie zur Kontrolle ein paar Spritzer Milch. Normalerweise gehen die auf den Boden. Aber Marc hält auch gerne mal seine Kaffeetasse darunter. «Es gibt nichts Besseres als kuhfrische Milch im Kaffee», ist er überzeugt. Nun wird die Melkmaschine angesetzt. Eine Weile hört man nur ein rhythmisches Zischen und Pumpen. Wenn keine Milch mehr kommt, ziehen Aron und Marc routiniert die Saugnäpfe der Melkmaschine von den Zitzen und tauchen diese kurz in eine rote Flüssigkeit – ein Desinfektionsmittel. Ein Zug an einem Hebel, am vorderen Ende des Melkstands öffnet sich ein Gatter und die Kühe spazieren wieder hinaus. Die nächsten neun sind dran. Bis alle gemolken sind. Dieses Prozedere dauert jeden Morgen rund zwei Stunden. Doch heute muss es besonders schnell gehen. Denn um neun Uhr stehen drei Bauern aus dem Tal auf der Matte, um beim Umzug des Melkstands zu helfen. Dreimal pro Alpsaison wird dieser gezügelt. Zuerst vom unteren Ende der Alp hoch zur Hütte. Danach zum oberen Ende der Alp und gegen den Herbst wieder zurück zur Hütte. Denn im Verlauf des Sommers wandern die Kühe dem Futter nach. Wenn ein Stück Weide abgefressen ist, stecken Marc und Aron hunderte Meter von Zäunen um und geben ein frisches Stück etwas höher oben frei. Bis die Kühe zu weit vom Melkstand weg sind. Deshalb wird auf fast jeder Alp an wechselnden Stellen gemolken.
Die Helfer Roman Hassler, Thomas Dolf und Werner Sutter wissen, worauf zu achten ist. Gemeinsam mit Marc und Aron hängen sie Schläuche ab, rollen Stromkabel ein und demontieren Absperrgitter. Bald schon sieht man, dass der starr wirkende Melkstand aus zwei Anhängern besteht. Kurz darauf zieht Roman einen dieser Anhänger mit seinem roten Traktor den steilen Kiesweg hoch. Am Ende des Weges befindet sich ein ebener Platz mitten in der Bergkulisse. Ab heute Abend werden die Curtginatscher Kühe hier gemolken.
Der zweite Anhänger und ein Bauwagen, der als Lager- und Technikraum dient, sind kurz darauf ebenfalls oben angekommen. Jetzt beginnt die Millimeterarbeit. Die einzelnen Elemente des Melkstands müssen im genau richtigen Abstand zueinander platziert werden. Als die Männer die blechernen Seiten der Anhänger hochklappen, wird klar warum. Gemeinsam bilden diese ein Dach, und wenn nicht alles genau stimmt, regnet es rein. «Wir haben auch schon stundenlang geübt, bis es endlich gestimmt hat», sagt Thomas lachend. Aber dieses Mal passt alles. Und schon kurz vor dem Mittag können die Bauern wieder ins Tal runterfahren und mit dem Heuen weitermachen. Für Marc und Aron reicht es heute nach dem späten Mittagessen nicht mehr für eine Pause. Noch müssen sie viele Zäune stecken, bis sie am späten Nachmittag die Kühe zum ersten Mal oben auf 2387 Meter über Meer melken können.