14 Jahre Provisorium

Um den Fortbestand des abgelegenen Betriebs in Miglieglia zu sichern, mussten Stall und Haus dringend renoviert werden.

Träumen, planen und dabei immer hart krampfen – der Weg von Celso Walter, seiner Partnerin Mirjam Bigler und seinem Vater Celso Walter senior zum eigenen Bauernhof war lang. Jetzt steht der von der Schweizer Berghilfe unterstützte Umbau von Stall und Wohnhaus kurz bevor. Er wird den dreien die Zukunft auf dem abgelegenen Betrieb im Malcantone definitiv sichern. Celso junior erzählt.

«Heute Morgen ist eine ganze Menge schiefgelaufen. Gestern Abend haben wir vergessen, unten im Schacht den Haupthahn zuzudrehen, und jetzt ist der Wasserhahn hier draussen eingefroren. Das passiert rasch, wenn man nicht aufpasst. Obschon wir uns auf nur gut 700 Meter über Meer befinden, wird es hier im Winter richtig kalt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als die Wasserleitung mit einer Lötlampe aufzu­tauen. Aber auch da ist der Wurm drin. Die Flammen kommen überall raus, nur nicht dort, wo sie sollten. Da haben wieder Mauerwespen die Mündung verstopft. In Momenten wie diesem sehne ich mich nach einer festen Anstellung in einer geheizten Werkstatt. Aber ich habe ja keine Wahl: Die Geissen brauchen Wasser, und einen anderen Wasserhahn gibt es nicht. Es geht manchmal an die Substanz, wenn man mit einer völlig veralteten Infrastruktur leben und arbeiten muss. Es ist nicht mal der fehlende Komfort, der einem zu schaffen macht. Es ist die viele zusätzliche Arbeit, die entsteht, wenn man im Haus kein fliessendes Wasser hat, wenn in jedem Raum, der warm sein soll, ein separater Ofen eingeheizt werden muss, wenn man zum Kleiderwaschen auf die Maschine des Nachbarn angewiesen ist und wenn die Vorbereitungen für ein heisses Bad mehrere Stunden dauern. Dennoch habe ich es nie bereut, dass ich zusammen mit meinem Vater diesen abgelegenen und halb zerfallenen Betrieb übernommen habe. Schon nach wenigen Jahren in meinem gelernten Beruf als Serigraf habe ich gemerkt, dass ich nicht für das Leben im Büro geschaffen bin. Der Sport – Skitouren und Gleitschirmfliegen – hat in mir eine Begeisterung für die Berge ausgelöst. Ich wollte in dieser Umgebung arbeiten und habe nach einer Anlehre auf einem Milchwirtschafts- und Ackerbaubetrieb eine Stelle als Betriebshelfer auf einem Hof in Graubünden angenommen. Dort hat es mir den Ärmel reingenommen. Ich habe gemerkt: Hier gehöre ich hin.

Das Projekt in Kürze

  • Bergbauern und Selbstversorger
  • Umbau Stall und Wohnhaus
  • Miglieglia/TI

Sechs Jahre lang arbeitete ich als Betriebshelfer auf Bergbauernhöfen in der ganzen Schweiz. Im Tessin, in Graubünden, in der Innerschweiz. Ich kam immer in Notsituationen zum Einsatz: bei Unfällen, Krankheiten, Streit. Das war spannend, aber auch belastend. Der Wunsch nach Beständigkeit, nach etwas Eigenem, wurde immer stärker. Im Tessin wurde ich fündig. Der Hof war unbewohnt und in einem sehr schlechten Zustand, ich sah aber, dass man etwas daraus machen könnte. Ich kaufte den Betrieb gemeinsam mit meinem Vater. Er hatte sich gerade aus dem Berufsleben zurückgezogen. Um den Start bei null zu ermöglichen, investierte er einen Teil seines Pensionskassengut-habens in den Hof und kam mit mir hierher. Mirjam lernte ich dann hier unten kennen. Sie ging immer im Sommer z’Alp und verbrachte die Winter mit ihren Pferden in Miglieglia.

So waren wir also inzwischen drei Leute, die davon träumten, hier an diesem wunderschönen Ort von der Bio-Berglandwirtschaft leben zu können. Wir schmiedeten Pläne, den Stall auszubauen und aus dem baufälligen Rustico ein richtiges kleines Wohnhaus zu machen. Doch dann kam der Dämpfer. Der Stall war zwar auf der Gemeinde in Miglieglia eingetragen, beim Grundbuchamt in Lugano aber existierte er nicht. Und was nicht existiert, darf auch nicht ausgebaut werden. Wir waren geschockt, unsere Träume schienen zerstört. Einen jahrelangen teuren Rechtsstreit wollten wir nicht eingehen. Wir entschieden uns, zu beweisen, dass der Hof genügend abwirft, um unsere Existenz zu ermöglichen. Dann würde der Umbau bewilligt. Wir knieten uns richtig rein. 14 Jahre dauerte es, bis wir so weit waren und endlich eine Baubewilligung erhielten. 14 Jahre im Provisorium.

Wir waren ab und zu nahe dran aufzugeben. Aber rückblickend hatte die Verzö-gerung sogar ihr Gutes. Inzwischen ist alles super eingespielt, wir wissen haargenau, was wir brauchen und was nicht. Auch sind wir im Malcantone mittlerweile integriert und gut aufgenommen. Mit unserem Durchhaltewillen haben wir uns viel Respekt verschafft. Anfangs hatten sicher einige Dorfbewohner das Gefühl, da kämen irgendwelche verträumten Aussteiger aus der Deutschschweiz, die beim ersten Rückschlag aufgeben würden. Inzwischen weiss jeder, dass wir hierher gehören.

Ist die Bauerei erst mal vorbei, wollen wir in den Agrotourismus einsteigen. Erste Erfahrungen haben wir bereits gesammelt. Wir haben viele Freunde mit Kindern und sind von vielen davon Götti und Gotte. All diese Kinder lieben es, hierherzukommen und bei unserer Arbeit mitzuhelfen. Im Sommer steht meistens irgendwo ein Zelt, oder jemand schläft im Stroh. Für die Besucher ist das einfache Leben hier romantisch. Ich aber freue mich sehr darauf, dass das Wasser bald wie an anderen Orten aus dem Wasserhahn fliesst und nicht mehr durchs morsche Dach tropft.»

Text: Max Hugelshofer

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im März 2013
Die Schweizer Berghilfe leistet finanzielle Unterstützung, wenn das Geld nicht ausreicht, um ein zukunftsweisendes Projekt zu realisieren.