Anpacken statt jammern
Die Zufahrtsstrasse zum Hof von Familie Genoni war kaum mehr befahrbar und gefährlich.
Die Zufahrtsstrasse zum Hof von Familie Genoni war kaum mehr befahrbar und gefährlich.
Laufstall, Güllengrube, Heustock und Wohnhaus. Das hat Gabriele Genoni während zwei Jahrzehnten alles eigenhändig aufgebaut. Jetzt, bei der Sanierung der Zufahrtsstrasse, benötigte er Unterstützung.
Ein eisiger Wind zieht vom Gotthard in Richtung Süden herab. Oberhalb des Bergbauernbetriebs von Familie Genoni im Weiler Albinasca kann man zwischen den Wolkenschwaden gerade noch die Verbauungen der Tremola und der neuen Passstrasse ausmachen. Es sieht nach Schnee aus. «Die Winter sind streng hier in Airolo», sagt Gabriela Genoni. Im vergangenen Jahr lag zeitweise über zwei Meter Schnee.
Das sei allerdings erstaunlicherweise weniger streng gewesen als üblich. Denn glücklicherweise blieb der Wind aus. Dieser sorgt normalerweise dafür, dass die einen Kilometer lange Strasse nach Albinasca wenige Minuten nach dem Räumen bereits wieder von Schneeverwehungen bedeckt ist. Da Gabriele und Katya Genoni mit ihren drei kleinen Kindern die einzigen sind, die noch in diesem Weiler wohnen, müssen sie auch selbst für die Schneeräumung sorgen. Die letzten paar Meter, auf denen es von der Strasse steil zum Hof runtergeht, waren immer die schlimmsten. Die Zufahrt war in einem so schlechten Zustand, dass Gabriele kaum mehr mit dem Pflug fahren konnte. Das meiste musste Gabriele von Hand wegschaufeln. Es war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Eine Sanierung der Zufahrt war unvermeidlich. Doch ein Strassenbau ist immer teuer, und die Ersparnisse der Familie Genoni reichten nicht aus. Auch, weil bereits in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten jeder zusammengesparte Franken laufend in den Ausbau des Betriebs geflossen ist. Denn seit er vor 20 Jahren den damals sehr kleinen Hof von seinem Vater übernahm, hat Gabriele fast Unvorstellbares geleistet. Den Anfang machten eine Güllengrube und ein Laufstall, die er komplett in Eigenregie und ohne Unterstützung durch Bund oder Kanton gebaut hat. «Ich habe damals wirklich jeden Fünfliber zweimal umgedreht», so der gelernte Zimmermann. Auch bei den Baumaterialien. Ein Teil der Seitenwände bestehen aus ehemaligen Telefonmasten, als Stützpfeiler dienen Metallelemente, die beim Abbruch einer oberirdischen Stromleitung übrig blieben. «Ich musste keinen Rappen dafür bezahlen.»
Beim späteren Bau des Unterstands für das Heu und beim Wohnhaus, das aus einem ungenutzten Gebäude entstand, stellte Gabriele ab und zu befreundete Handwerker und Bauern aus der Region an, den Löwenanteil erledigte er aber auch hier selbst. Und selbst beim Bau der Zufahrt stieg Gabriele auf den Bagger, um mindestens die Vorbereitungsarbeiten selbst zu erledigen. Bei den Finanzen unterstützte die Schweizer Berghilfe. «Über diese Hilfe sind wir unglaublich dankbar», sagt Katya. Denn die Strasse ist für die ganze Familie sehr wichtig. «Mit den kleinen Kindern hatte ich immer ein etwas mulmiges Gefühl, wenn wir von der Umwelt abgeschnitten waren», sagt Katya. Ausserdem müssen Ambra (5), Agata (4) und Alex (3) täglich in den Kindergarten und in die Spielgruppe gebracht werden.
Die drei Kinder, die in sehr nahem Abstand zueinander auf die Welt kamen, bringen viel Freude ins Leben von Katya und Gabriele. Weil sie alle drei sehr lange sehr schlecht schliefen, brachten sie ihre Eltern aber auch mehrmals an ihre Belastungsgrenze. «Ich merkte, dass mir die Kraft ausging», sag Gabriele. «Täglich 16 Stunden arbeiten liegt heute nicht mehr drin.» Für Gabriele war dies der Anlass, sich die Arbeitsabläufe auf dem Hof genauer anzuschauen und nach Optimierungsmöglichkeiten Ausschau zu halten. «Ich konnte einfach nicht mehr in der gleichen Kadenz weitermachen.» Er erkannte, dass die Milchwirtschaft, die er betrieb, eigentlich viel zu zeitaufwändig war und kaum rentierte. Obschon er von der lokalen Käserei einen recht guten Literpreis bekam. Was hingegen super lief, war der Alpkäse, den Katya mit viel Geschick direkt vermarktet. Also entschied sich Gabriele, die ganzen Abläufe auf den Kopf zu stellen. Neu werden seine Kühe ihre Kälber ein paar Monate später als bisher auf die Welt bringen, erst im Januar. Bis zur Alpzeit bekommen sie die Milch der Kühe, danach wird daraus Alpkäse gemacht. So wird die Alpzeit in die Phase fallen, in denen die Kühe am meisten Milch geben, und Gabriele rechnet mit einem höheren Käseertrag. Sobald die Kühe wieder von der Alp herunterkommen, werden sie trockengestellt. Weil sie keine Milch mehr geben müssen, brauchen sie weniger Futter und kommen mit dem aus, was auf den Weiden im Tal nach dem Heuen noch wächst. Gabriele spart Geld, weil er kein zusätzliches Futter mehr kaufen muss, und Zeit, weil das Melken wegfällt. Theoretisch sollte er gleich viel Einnahmen bei deutlich geringerem Aufwand haben. Ob es in der Praxis funktioniert, weiss er noch nicht: «Ich hoffe es. Wer nichts ausprobiert, der verbessert auch nichts.»