Auch bei Frost raus aufs Feld

Familie Zbinden baut viele alte Gemüsesorten an, die dank der Slowfood-Bewegung wieder in sind.

Am Freitag wird Gemüse geerntet. Das ist bei Zbindens aus Rüschegg im Kanton Bern seit fast 40 Jahren so. So lange verkauft die Familie ihr Gemüse schon an einem Stand am samstäglichen Markt in Schwarzenburg.

Fredy und Gaby Zbinden ziehen sich warm an, bevor sie raus aufs Feld gehen. Denn geerntet wird das ganze Jahr über. Auch jetzt, mitten im Winter. Doch was kann man überhaupt noch ernten, wo alles braun und kahl ist, und eine dicke Rauhreifschicht auf den Feldern liegt? Vorsichtig ziehen Fredy und Gaby ein mit Schneeresten und Reif bedecktes Vlies von einem überdimensionierten Gartenbeet. Und tatsächlich, darunter kommt etwas Grünes zum Vorschein. Federkohl ist es, der hier der Kälte trotzt, und weiter hinten Palmkohl. «Beides sehr fein und vitaminhaltig», erklärt Fredy. «Typische Wintergemüse halt, die in Vergessenheit geraten, jetzt aber im Zuge der Slowfood-Bewegung wieder total in Mode gekommen sind.»

Zbindens Stammkunden auf dem Markt kennen und schätzen die alten Sorten. Auch Pfälzer Rüebli, Pastinaken, Topinambur und verschiedene Rüben stehen den Winter über im Angebot. Sie stammen jedoch nicht direkt vom Feld, sondern kommen aus dem Vorratskeller. Erntefrisch sind im Moment nur die verschiedenen Kohlsorten. Und natürlich der Nüsslisalat, der im Winter jeweils der Verkaufsrenner ist auf dem Markt. Er wächst in langen, geraden Reihen im Gewächshaus. Dort ist er vor allzu starkem Frost geschützt, und wenn die Sonne hervorkommt, klettern die Temperaturen rasch auf ein paar Grad über dem Gefrierpunkt. Das reicht schon fürs Wachstum. Heute ist es jedoch deutlich unter Null, und Gabys Finger sind taub, als sie endlich mit dem Pflücken fertig ist.

Das Projekt in Kürze

  • Bergbauernfamilie
  • Ausbau des Wohnhauses
  • Rüschegg/BE

Der Nüsslisalat hat, genauso wie alles andere, das von Zbindens Hof kommt, beste Bio-Qualität. «Meine Eltern waren Bio-Pioniere. Unser Hof Salzmatt hat die Bio-Nummer 290. Inzwischen sind sie schon bei über 6000», sagt Fredy. Heute profitiert er davon, dass die Erde auf seinem Land seit Jahrzehnten nicht mehr durch Düngemitteln und Schädlingsbekämpfungsmittel belastet wurde. «Diese Qualität schmeckt man», ist er überzeugt. Und seine Kunden geben ihm recht. Die meisten davon kommen regelmässig an seinen Stand. Und immer wieder sagen sie ihm, dass sein Gemüse einfach um Längen besser schmecke.

Riesige Mengen verkaufen Zbindens nicht an ihrem Marktstand. Könnten sie auch gar nicht, denn sie wollen weiterhin mit möglichst wenig Einsatz von Maschinen produzieren und ein Familienbetrieb bleiben, auch wenn die Nachfrage nach mehr Gemüse durchaus vorhanden wäre. Dennoch erwirtschaften Zbindens bereits heute den grössten Teil ihres Einkommens mit Gemüse, halten daneben noch Mutterkühe, einige Hühner und ein paar Schafe.

Federkohlsalat mit Crostini

Dieser Salat mit Federkohl von Familie Zbindens Biohof ist eine Vitaminbombe für die kalten Tage.
Zum Rezept

Fredy und Gaby haben zwei Mädchen, Luana (14) und Rebecca (12). Die beiden helfen gerne beim Verkaufen auf dem Markt mit, sind aber ansonsten noch nicht im Betrieb eingespannt. «Ob sie hier mithelfen und später mal einsteigen wollen, ist ihre Entscheidung. Wir zwingen sie zu nichts. Und mit der Schule und ihren Hobbys haben sie jetzt auch erst mal genug zu tun», so Fredy. Auch wenn die Frage der Nachfolge noch völlig offen ist: Fredy hat den Hof im Laufe der vergangenen Jahre immer weiter optimiert und fit für die Zukunft gemacht. Er hat eine Remise mit integriertem grossen Lagerkeller gebaut, und auf dem Dach des Laufstalls sorgt eine Photovoltaikanlage dafür, dass der Hof Salzmatt beinahe ein Null-Energie-Bauernhofe ist.

Nur das Wohnhaus, das machte Fredy und Gaby immer sorgen. Energetisch gesehen war es eine Katastrophe, und die Betriebsleiterwohnung war eigentlich viel zu klein für eine vierköpfige Familie. Als sich dann auch die Sanierung des Dachs nicht länger aufschieben liess, mussten Zbindens handeln. Sie kratzten all ihr Erspartes zusammen, aber es reichte nicht. Erst als die Schweizer Berghilfe ihre Unterstützung zusagte, konnten sie sich ans Bauen machen. Fredy stellte einen befreundeten Zimmermann an, und gemeinsam nahmen sich die beiden Schritt für Schritt das Dach, die Aussenhülle des Hauses und schliesslich den Innenausbau der beiden oberen Stockwerke vor. Schon bald wird die Familie nicht nur im Parterre, sondern auch im ersten Stock wohnen. Dort, wo vorher die Wohnung der älteren Generation war, entstehen nun Zimmer für die beiden Mädchen. Die «Stöckli-Wohnung» liegt künftig direkt unter dem Dach, wo früher nur Estrich war. Weil Fredy so vieles selber macht und sich nebenbei ja auch noch um den Hof kümmern muss, ziehen sich die Bauarbeiten etwas in die Länge. Doch langsam aber sicher nimmt das Ganze Formen an. Die Mädchen können schon bald umziehen. Und vor allem zieht es nicht mehr durch die Ritzen. Jetzt ist es in der Stube auch angenehm warm, ohne dass im Ofen ständig ein Feuer brennen muss. Und so sind die vom Nüsslisalat-Ernten tauben Finger schnell wieder aufgetaut.

Text: Max Hugelshofer

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im März 2017
Die Schweizer Berghilfe leistet finanzielle Unterstützung, wenn das Geld nicht ausreicht, um ein zukunftsweisendes Projekt zu realisieren.