Auf den Hirsch gekommen

Die traditionelle Milchwirtschaft hat nicht mehr rentiert. Deshalb hat Familie Durrer aus Dallenwil auf Hirschzucht gesetzt.

Vorsichtig, Schritt für Schritt kommen sie heran. Sie bleiben stehen, zucken mit den Ohren, schauen sich um, zögern. Auch wenn sie genau wissen, dass im weissen Plastikkessel feines trockenes Brot liegt, kommen sie nicht näher als ein paar Meter an die Menschen heran. Die Damhirschkühe im Gehege von Familie Durrer sind Wildtiere geblieben. «Und das ist auch gut so», findet Ruedi Durrer. Gemeinsam mit seiner Frau Monika hat Ruedi den Milchwirtschaftsbetrieb seiner Eltern vor 15 Jahren übernommen. Nach einigem Zögern. Denn: «So sehr ich ein Bauernsohn war, ich musste eine gut bezahlte Stelle aufgeben.» Dass er sich schliesslich für die Landwirtschaft entschied, hatte mehrere Gründe. Zum einen konnte er in der direkten Nachbarschaft zusätzliches Land kaufen, zum anderen war mit der lokalen Käserei ein guter Abnehmer für die Milch vorhanden. Durrers machten sich an die Arbeit, stockten den Tierbestand auf, bauten sogar nach einem Brand einen komplett neuen Laufstall. Doch kurz darauf nahm die Käserei keine Silomilch mehr an. Von einem Tag auf den anderen mussten Durrers an eine Grossmolkerei liefern, die ihnen viel weniger bezahlte und erst noch den Abtransport der Milch in Rechnung stellte. «So lohnte sich die Milchwirtschaft nicht mehr», sagt Ruedi.

Zum Glück hatten Durrers sich schon seit Längerem nach einem zweiten Standbein umgesehen und dabei auch schon öfters an die Hirschzucht gedacht. «Wir hatten mehrere Betriebe angeschaut, aber irgendwie hat sich nie etwas ergeben», sagt Monika. Bis just zu dem Zeitpunkt, als das Milchproblem akut wurde. Da hörte ein Züchter auf, und Durrers bekamen die Chance, seine Damhirsch-Herde zu übernehmen. Plötzlich ging alles sehr schnell. Durrers bauten auf dem steilen Gelände direkt oberhalb ihres Hofs ein Hirschgehege. Ruedi machte Kurse zur Hirschhaltung, und schon waren die Tiere da. Das war vor drei Jahren. Heute verkaufen Durrers keine Milch mehr. Im Kuhstall stehen zwar noch ein paar Tiere, es wird allerdings nur noch Kälbermast betrieben.

Das Projekt in Kürze

  • Hirschfarm
  • Vergrösserung des Geheges
  • Dallenwil/NW

Die Hirsche sind eine Erfolgsgeschichte. Das Fleisch ist sehr begehrt. «Wir könnten viel mehr absetzen, als wir produzieren», sagt Monika. Deshalb wollten Durrers die Chance auch unbedingt packen, als ihnen eine befreundete Züchterin im Pensionsalter anbot, ihre Herde zu übernehmen. Das Problem: Durrers hatten ihre Ersparnisse bereits für die Umstellung des Betriebs ausgegeben. Und es mussten ja nicht nur die zusätzlichen Tiere bezahlt werden. Auch das Gehege musste vergrössert werden. Die dringend nötige Erweiterung stand auf der Kippe, bis die Schweizer Berghilfe ihre Unterstützung zusicherte. «Wir sind sehr froh um diese Hilfe», sagt Ruedi. «Irgendwie hätten wir es auch sonst durchgezogen. Aber wir hätten uns dabei zu stark verschulden müssen.» Jetzt sind es nicht mehr dreissig Muttertiere, die auf den Weiden ob Dallenwil grasen, sondern gut 40. Nächsten Herbst werden Durrers deutlich mehr Hirschfleisch verkaufen können als bisher. Abnehmer sind vor allem Restaurants und Hotels aus der Umgebung.

Verarbeiten können Durrers das Fleisch direkt auf ihrem Hof. Minderwertiges Fleisch gibt es beim Hirsch nicht, da nicht nur die Edelstücke gefragt sind, sondern beispielsweise auch das Voressen für Pfeffer. Deshalb legen sich auch viele Private gerne Ende Sommer einen halben Hirsch in die Gefriertruhe. Weil das Fleisch kaum Fett enthält, kann man es sehr gut und lange einfrieren. Auch wenn in der Zucht ein Abschuss das ganze Jahr über möglich wäre, halten sich Durrers an die traditionellen Jagdzeiten. Einerseits weil im Herbst die Nachfrage am grössten ist, aber auch weil so der natürliche Lebensrhythmus der Tiere eingehalten werden kann. Ende Oktober ist Brunftzeit, im April verlieren die Tiere ihre Hörner, im Juni kommen die Jungen auf die Welt. Die Tiere werden nicht eingefangen und geschlachtet, sondern geschossen. Das erspart ihnen viel Stress. «Beim Abschuss ist das Tier tot, bevor es den Boden berührt hat», sagt Durrer. Ihm ist sehr wichtig, dass seine Tiere nicht leiden müssen. «Die Bedingungen zum Schiessen sind besser als in freier Wildbahn», sagt Durrer. Beim Schiessen erhält er seit Neustem Unterstützung vom älteren Sohn Roman. Der 16-Jährige ist Sportschütze und hat dieses Jahr zum ersten Mal beim Abschuss selbst angelegt. «Er ist ein besserer Schütze als ich», sagt Ruedi. «Er nimmt sich Zeit und schiesst erst, wenn er 100-prozentig sicher ist.» Auch sonst interessieren sich Roman und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Lukas sehr für die Hirsche. Der Bauzeichner- Lehrling und der Schüler haben schon vorher tatkräftig auf dem Betrieb mitgeholfen, jetzt tun sie das mit noch mehr Begeisterung. Ob einer der beiden mal den Hof übernehmen will, weiss Ruedi heute noch nicht. «Es sieht aber schon viel eher danach aus als auch schon.»

Die Stiere sind frecher

Vorläufig hilft die ganze Familie gemeinsam mit. Auch jetzt, wenn die Tiere mit Zusatzfutter angelockt werden. Nur aus der Nähe kann Ruedi überprüfen, ob sich keines verletzt hat oder krank ist. Die Stiere Köbi und Seppi sind frecher als ihre weiblichen Artgenossen. Wenn sie ihre Köpfe in den weissen Brotkessel stecken, muss man aufpassen, nicht ihr eindrückliches Geweih an den Kopf zu bekommen. Doch auch bei ihnen reicht eine ruckartige Bewegung, und sie stürmen davon.

guetsvombärg.ch

Text: Max Hugelshofer

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im November 2013
Die Schweizer Berghilfe leistet finanzielle Unterstützung, wenn das Geld nicht ausreicht, um ein zukunftsweisendes Projekt zu realisieren.