Auf Milchtour
Damit nicht jeder Bauer einzeln in die Käserei fahren muss, sammelt der Milchlastwagen die Milch bei allen ein.
Damit nicht jeder Bauer einzeln in die Käserei fahren muss, sammelt der Milchlastwagen die Milch bei allen ein.
Um ihre Milch von den abgelegenen Höfen in die Käserei zu bringen, haben sich die Bauern im oberen Entlebuch schon vor langer Zeit zu einer Genossenschaft zusammengetan. Nun drohte Gefahr, weil der Milchlastwagen ersetzt werden musste und nicht genügend Geld vorhanden war.
Streusiedlung: Im Emmental und Entlebuch ist sie Standard. Die Höfe liegen weit voneinander entfernt, auch der hinterste «Chrachen» wird bewirtschaftet. Im Alltag bedeutet das für die Bauern vor allem eines: weite Wege. Damit die Milchproduktion noch halbwegs wirtschaftlich ist, sind sie darauf angewiesen, dass die Milch abgeholt wird. Die Milchverwertungsgenossenschaft Escholzmatt übernimmt diese Aufgabe bereits seit 114 Jahren. Seit 2001 setzt sie dafür einen eigenen Lastwagen ein. Chauffeur ist bereits fast ebenso lange Peter Wicki.
Morgens um 6 Uhr holt er den blauen Scania-Lastwagen mit dem chromglänzenden Milchtank auf der Ladefläche aus der Garage beim Bahnhof in Escholzmatt und macht sich auf den Weg. Der Lastwagen ist brandneu. Der Vorgänger hatte sieben Jahre auf dem Buckel und 320 000 Kilometer auf dem Tacho. «Eigentlich ist das für einen Lastwagen ja nichts. Aber es waren harte Kilometer, bergauf, bergab, ständig Beschleunigen oder Bremsen», sagt Peter. «Bei diesem Betrieb zählen eher die Betriebsstunden als die Kilometer. Und die 20 000, die der Lastwagen gemacht hat, sind eine beachtliche Leistung.» Die Reparaturkosten stiegen und stiegen. Sie fingen an, die Reserven aufzufressen, welche sich die Genossenschaft für einen Ersatzkauf zusammengespart hatte. Also musste Ersatz her. Aber ein Lastwagen ist teuer, besonders, wenn es ein Modell mit Allradantrieb sein muss. 170 000 Franken war die günstigste Offerte. Dafür reichten die Reserven nicht. Wenn die Schweizer Berghilfe nicht 30 000 Franken übernommen hätte, hätten die Mitglieder der Genossenschaft alle einen zusätzlichen Batzen einzahlen müssen. «In der jetzigen Situation mit dem tiefen Milchpreis wäre das für viele unserer Mitglieder schlicht nicht möglich gewesen», sagt Willi Bieri, Präsident der Genossenschaft. «Deshalb sind wir sehr froh um die Hilfe.»
Zehn Minuten später fährt der Lastwagen eine steile Hofzufahrt
hinauf. Oben angekommen wendet Peter routiniert auf dem kleinen
Kiesplatz und fährt rückwärts an die Stalltüre heran. Es ist eng. Mehr
als ein paar Zentimeter Platz bleiben nicht zwischen Stallmauer,
Lastwagen und Hundehütte. Doch das stört Peter nicht. Konzentriert
behält er die diversen Spiegel, die an der Fahrerkabine angebracht sind,
im Auge. «Eine Hofkatze ist schnell überfahren, wenn man nicht
aufpasst», sagt er ernst. Und fügt lachend hinzu: «Und hinterher war es
garantiert diejenige, die mit Abstand am meisten Mäuse fängt.»
Sagt es, hält an und zieht den grossen Handbremshebel neben dem Steuerrad. Die hydraulischen Bremsen zischen, dann verstummt der Dieselmotor. Peter ist derweil schon halb aus der Führerkabine geklettert und zum Heck des Lastwagens gelaufen. Dort öffnet er die grosse Klappe, schnappt sich den blauen Schlauch und verschwindet im Milchzimmer neben dem Stall. Schlauch an den Milchtank anschliessen, Pumpe einschalten, Schlauch wieder aufrollen – das alles dauert keine Minute. Die ganze Tankanlage auf dem Lastwagen ist computergesteuert und funktioniert zum grössten Teil automatisch. Von jeder Milchlieferung nimmt die Maschine eine Probe. Sollte die Milch Verunreinigungen aufweisen, kann genau nachvollzogen werden, von welchem Hof sie stammt. Peter drückt einen Knopf, und ein kleiner Drucker spuckt eine Quittung aus. Der Chauffeur legt sie unter einen Stein auf dem Hasenstall, steigt wieder in den Lastwagen und fährt los. Er kennt sich auch in den Hügeln rund um Escholzmatt aus wie in seiner Westentasche. Hin und her, zick und zack geht die Fahrt. Jeder Passagier hätte schon nach wenigen Minuten komplett die Orientierung verloren.
So geht es weiter, von Hof zu Hof, von Milchtank zu Milchtank. Nach drei Stunden sind alle drei Kammern des Tanks auf dem Lastwagen voll. Peter fährt nach Marbach zur Bergkäserei. Dort träufelt er ein paar Tropfen der gesammelten Milch auf einen Teststreifen und schiebt diesen in ein Lesegerät. Alles klar, der Test ist negativ, die Milch einwandfrei. Also schliesst Peter wiederum den blauen Schlauch an, diesmal fliesst die Milch aber in die andere Richtung, direkt in die grossen Kühltanks der Käserei. Kurz darauf fährt der blaue Lastwagen schon wieder los. 14 weitere Höfe muss er noch anfahren. 150 Kilometer werden es bis am Nachmittag sein. Dabei steht heute nur eine kleine Tour an. Viele Bauern haben ihr Vieh auf der Alp und müssen deshalb nicht angefahren werden. «Jetzt im Sommer ist es richtig gemütlich», lacht er. Im Winter können die Arbeitstage aber schon lang werden. Vor allem, wenn Schnee liegt und er trotz Allradantrieb mehrmals täglich die Schneeketten montieren und wieder demontieren muss. «Dann ist es umso wichtiger, dass man sich komplett auf den Lastwagen verlassen kann. Das ist nun zum Glück wieder der Fall.»