Das Haus der vielen Wege

Die Tigias Plang Faller ist eine einfache Hütte am Ela-Park-Trek in Mittelbünden. Dank eines Zufalls ist sie Etappenunterkunft geworden. Zum Glück. Der Bündner Bildhauer Daniel Cotti hat mit Hingabe zum Historischen zusammen mit seiner Familie einen neuen Begegnungsort geschaffen.

«Dicke, dunkelgraue Wolken ballen sich über der Val Gronda bei Mulegns. Ein Krachen, dann prasselt heftiger Regen auf die Wiesen und Felsen nieder. Unverdrossen stapfe ich zusammen mit Irene Schuler das Tal hinab. Wir kommen von Radons und laufen eine Etappe des ElaTreks. Der Weitwanderweg ist 17 Etappen lang, initiiert hat ihn Irene Schuler. Übernachten tut man in SACHütten oder in Alpgebäuden. Viel haben wir nicht dabei. Müssen wir auch nicht. Unser Ziel ist eine kleine Selbstversorgerhütte auf der weiten FallerEbene. Wer nicht schleppen mag, kann sich hier mit Lebensmitteln aus dem Vorratsraum eindecken. Im Haus angekommen, wechseln wir doch etwas erleichtert unsere durchnässten Schuhe gegen Hüttenfinken. Dabei sitzen wir auf einem dicken Balken, der sich als Rand einer ehemaligen Futterkrippe herausstellt. Bis zu 18 Kühe waren im niederen Erdgeschoss untergebracht. Im ersten Stock, an der Tür zur Vorratskammer, sind eingeritzte Buchstaben und Zeichen erkennbar. «Das sind keine neuen Kritzeleien von Gästen», sagt Priska Cotti, «sondern uralte, von Hirten aus dem Bergell.» Sie und ihr Mann Daniel Cotti sind die Hüttenbesitzer und gerade im Haus, um letzte Arbeiten auszuführen und die schönen Spätsommertage hier oben zu geniessen.

Das Projekt in Kürze

  • Alp Faller
  • Berghütte
  • Renovation

Alp mit wechselvoller Geschichte

Vor rund 200 Jahren gehörte die Alp Faller den Bauern aus dem rund 40 Kilometer entfernten, italienischen Ort Mese bei Chiavenna. Hirten zogen mit deren Vieh im Sommer nach Norden über die Pässe zur Alp Faller. 1902 kaufte die Gemeinde Lantsch die Alp. Das Gebäude selbst brauchten die Bündner nicht mehr und es verfiel langsam. Bis es der Bildhauer Daniel Cotti erwarb. «Die Einsamkeit gefiel mir, aber auch, dass die Hütte an einem Kreuzungspunkt vieler Wege und Geschichten liegt», sagt Daniel. Er begann, das Haus als Familienprojekt sanft zu renovieren, zusammen mit Priska und den fünf Kindern. «Neu ist zum Beispiel die Wendeltreppe in den ersten Stock. Ein speziell geformter Arvenstamm steht in ihrem Zentrum», erklärt der Bildhauer, während er noch eine letzte Lichtleiste über dem Esstisch montiert. «Der Stamm ist für sich wie eine eigene Persönlichkeit. Deshalb ist an ihm jede Treppenstufe nur mit einem Metallstift verbunden.» Während er Irene und mich durchs Haus führt, erfahren wir von fast jedem Türblatt, jedem Balken und Türgriff eine überraschende Geschichte.

Die Unterstützung

Auf dem Ela-Trek fiel eine wichtige Unterkunft weg. Die Familie Cotti willigte ein, ihr Alpgebäude, das sie gerade renovierten, als Etappen-Übernachtungsort zur Verfügung zu stellen. Weil es nun schnell gehen musste mit der Renovation und mehr Betten als geplant nötig wurden, unterstützte die Berghilfe den Umbau.

Familie öffnet Haus für Gäste

Vor zwei Jahren, als die Familie noch mitten im Umbau steckte, startete der Ela-Trek gerade. Alle Etappen waren beschrieben, alle Unterkünfte organisiert. Doch dann schloss überraschend eine wichtige Unterkunft auf der Faller-Ebene. Irene Schuler ging auf die Cottis zu und bat die Familie, das Haus als Etappen-Unterkunft zur Verfügung zu stellen. «Wir hielten Familienrat, aber wir mussten wir nicht lange diskutieren», sagt Daniel, «alle waren sich einig, dass Menschen, die wie wir die Berge lieben, die Möglichkeit haben sollten, hier zu übernachten.» Seit dem Sommer 2024 empfängt das Haus Gäste. Das dreistöckige Haus ist so einfach eingerichtet, wie man es von einer Selbstversorgerhütte erwartet: Die urchigen Holzzimmer sind ungeheizt und winzig – der Platz darin reicht gerade für die Betten und ein bisschen Stauraum. Gekocht wird auf einem Holzherd. Eine Solaranlage liefert gerade genug Strom fürs Licht. Hände und Gesicht wäscht man mit eiskaltem Quellwasser. Irene und ich sind uns einig: Allein hier zu kochen und die Ruhe zu geniessen, das ist grossartig. Noch schöner aber ist es, den Cottis zu begegnen. Denn dann erfährt man erst, wie viel Geschichte in jedem Quadratmeter der Hütte steckt.

Text: Alexandra Rozkosny

Fotos: Yannick Andrea

Erschienen im Juni 2025

17 Tage wandern

17 Tagesetappen führen durch den Naturpark Parc Ela, ohne dass man ins Tal absteigen muss. Er verläuft auf Wanderwegen und ist nicht zusätzlich ausgeschildert. Um ihn begehen zu können, muss man darum Karten lesen und sich im Nebel orientieren können

Die Schweizer Berghilfe leistet finanzielle Unterstützung, wenn das Geld nicht ausreicht, um ein zukunftsweisendes Projekt zu realisieren.