Den Kräutern Dampf gemacht
Jean-Michel Mayor verarbeitet seine Alpenkräuter zu ätherischen Ölen und Kosmetikprodukten.
Jean-Michel Mayor verarbeitet seine Alpenkräuter zu ätherischen Ölen und Kosmetikprodukten.
Die meisten Alpenkräuter landen in Teebeuteln. Der Landwirt Jean-Michel Mayor, der in Icogne im Zentralwallis seit 20 Jahren Heilkräuter anbaut, hat etwas Neues versucht: Diesen Sommer hat er einen Teil seiner Bio-Kräuter destilliert. Nicht zu hochprozentigem Schnaps, sondern zu hochwirksamen Tropfen.
«Kräuter enthalten wertvolle ätherische Öle, die gegen die verschiedensten Beschwerden helfen. Das Oregano-Öl, das ich hier gerade destilliere, wirkt zum Beispiel stark entzündungshemmend, es ist sozusagen ein natürliches Antibiotikum. Es hilft unter anderem gegen Halsschmerzen. Bereits wenige Tropfen reichen, weil ätherische Öle hochkonzentriert sind. Ich finde es total faszinierend, welche Kraft in diesen Pflanzen steckt. Seit 20 Jahren baue ich Heilkräuter an. Bis letzten Sommer habe ich jeweils die gesamte Ernte an die Kooperative ‹Valplantes› geliefert. Da ich über die Jahre viel über Kräuter undihre Heilwirkung gelernt habe, wollte ich dieses Potenzial ausschöpfen und aus einem Teil der Kräuter selber ätherische Öle gewinnen.»
«Freunde in Frankreich destillieren schon seit Jahren ätherische Öle und sind damit erfolgreich. Ich wollte das auch versuchen. Als gelernte Drogistin und Kräuterfachfrau teilt meine Frau Catherine meine Leidenschaft für Heilpflanzen. Die Kräuter haben uns sogar zusammengebracht: Catherine hat einst für eine Lokalzeitung ein Interview mit mir gemacht – über den Kräuteranbau in der Region. Wir legten also los. Doch mit der Destillieranlage alleine war es nicht getan. Ich musste auch ein Gebäude bauen mit einem Ladenlokal und einem Laborraum, wo die ätherischen Öle sauber abgefüllt werden können. Alleine hätte ich diese Investitionen nicht stemmen können. Zum Glück hat die Schweizer Berghilfe uns finanziell unterstützt.»
«Das Prinzip der Destillation beruht auf dem Verdampfen und Kondensieren eines Stoffes. Zunächst werden die Kräuter in einem grossen, geschlossenen Kessel erhitzt. Über den aufsteigenden Dampf werden die ätherischen Öle gelöst und mittransportiert. Dieser Dampf wird anschliessend wieder heruntergekühlt und kondensiert zu einer Mischung aus Pflanzenwasser, dem sogenannten Hydrolat, und ätherischen Ölen. Auch das Hydrolat ist ein wertvolles Produkt, das vor allem für kosmetische Zwecke, zum Beispiel für die Gesichtspflege, eingesetzt wird. Im sogenannten Florentiner-Topf oder ‹Essencier›, dem kleinen Gefäss am Ende der Destillieranlage, wird das aufschwimmende Öl schliesslich vom Pflanzenwasser getrennt.»
«Für die Destillation verwende ich die Kräuter frisch geschnitten. Man kann auch getrocknete Kräuter destillieren, aber die Ausbeute ist kleiner. Oder besser gesagt: noch kleiner. Denn viel Öl gewinnt man ohnehin nie. Mein Destillierkessel hat ein Fassungsvermögen von 1000 Litern. Aus einem Kessel voll Kräuter hole ich gerade mal ein paar Deziliter Öl raus. Die Menge hängt von der Pflanzenart ab. Natürlich kommt es mir vor allem auf die Qualität des Öls an. Der entscheidendste Faktor dafür sind die Pflanzen selbst: Das Öl ist nur so gut wie die Kräuter, aus denen es gewonnen wird. Deshalb produziere ich Bio. Für die rund ein Dutzend Kräuterarten setze ich weder Kunstdünger noch Pestizide ein. Dass der Boden und das Klima in dieser Gegend ideal sind für Heilkräuter, ist natürlich hilfreich. Ich führe genau Buch, wann ich welche Kräuter schneide, in welchem Wachstumsstadium sie sich befinden und wie das Wetter zu diesem Zeitpunkt ist. So lässt sich später nachvollziehen, unter welchen Bedingungen Qualität und Menge des Öls am besten sind.»
«Nach der Destillation werden die ätherischen Öle gefiltert, dekantiert, in Flaschen gefüllt und chemisch untersucht, bevor sie einige Monate ruhen. Die Öle, die meine Frau und ich diesen Sommer aus Thymian, Muskat-Salbei, Oregano, Berg-Bohnenkraut, Echtem und Spanischem Lavendel, Ysop, Rosmarin, Pfefferminze, Föhre, Fichte, Lärche und Kamille gewonnen haben, gehen also erst nächsten Frühling über den Ladentisch. Bis dann ist hoffentlich unser Hofladen fertig eingerichtet. Dazu kommen wir erst jetzt, im Sommerhalbjahr war einfach zu viel zu tun. Ich baue ja nicht nur Kräuter an, sondern halte auch Ehringerkühe und produziere Eier, die ich in der ganzen Region ausliefere. Und ich überlege, Besucherführungen anzubieten oder Leuten die Möglichkeit zu geben, beim Kräuterschneiden und Destillieren mitzumachen. Es ist noch vieles im Aufbau, aber der Name der Destillerie steht schon fest: ‹L’Essencier›.»