Der Alphornbauer
Im bernischen Habkern baut Heinz Tschiemer Alphörner aus heimischem Holz.
Im bernischen Habkern baut Heinz Tschiemer Alphörner aus heimischem Holz.
Heinz Tschiemer hat seine Stelle an den Nagel gehängt und sich selbstständig gemacht – als Alphornbauer. Getan hat dies der junge Familienvater aus Idealismus und um seiner Heimatgemeinde Habkern zu neuem Schwung zu verhelfen.
Ein unverkennbarer Klang tönt durch das Dorf Habkern im Berner Oberland. Ein geerdeter, beruhigender Ton, der hier schon vor Hunderten von Jahren zu hören war. Wer ihm folgt, landet im ehemaligen Dorfladen, in der neuen Alphornwerkstatt Bernatone. Dort steht Heinz Tschiemer zwischen Drehbänken, Schleif-, Fräs- und Bohrmaschinen und probiert ein soeben fertiggestelltes Alphorn aus. Noch vor einem Jahr wäre der Vater von zwei kleinen Buben an einem Werktagsmorgen wie diesem unterwegs gewesen, mit dem Firmenauto auf dem Weg zu einem Kunden. Seine gute Stelle als Aussendienstmitarbeiter einer Firma für Stalleinrichtungen hat er aber eingetauscht gegen Selbstständigkeit, sehr viel Arbeit und wirtschaftliche Ungewissheit. Warum? Heinz Tschiemer zeigt auf das brandneue Alphorn: «Dieses hochwertige Instrument ist vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt hier in Habkern entstanden. Es hat in unserem abgelegenen Bergdorf der Reihe nach dem Förster, dem Säger, meiner Frau Marietta und mir sowie der Künstlerin, die das Enzian-Motiv als Verzierung aufgemalt hat, Arbeit gegeben. Das ist doch genial, oder?»
Es steckt viel Idealismus hinter der Entscheidung des Ehepaars Tschiemer, aber auch der Zufall half mit. Ganz aus dem Nichts ist Heinz nicht zum Alphornbauer geworden. Sein Vater Hans betreibt in der vierten Generation neben dem Bauernbetrieb eine Sägerei. Dort wird das Holz aus den umliegenden Wäldern zu Balken und Brettern verarbeitet. Die Einzelteile beinahe jedes Holzhauses in Habkern sind in der Sägerei der Tschiemers entstanden. In den 1990er-Jahren wurde ein Instrumentenbauer aus dem Unterland bei Vater Tschiemer vorstellig. Er suchte ganz besonderes Holz für die Produktion von Alphörnern. Fichte musste es sein, dicht an der Waldgrenze ganz langsam gewachsen und möglichst regelmässig. Tschiemer konnte das gewünschte Holz liefern, und es entwickelte sich eine langjährige Partnerschaft. Als der Instrumentenbauer vor einem Jahr aus Altersgründen seine Werkstatt verkaufen wollte, fragte er zuerst bei Tschiemers nach. Heinz, der als Kind Alphorn spielen gelernt hat, aber in den vergangenen Jahren kaum mehr zum Spielen gekommen ist, war sofort interessiert. «Ich fand das Alphornbauen faszinierend und sah darin das Potenzial für unser Dorf», sagt er. Und so entschieden sich Tschiemers nach vielen Diskussionen und einigen schlaflosen Nächten, den grossen Schritt zu wagen. Für den Kauf der vielen Maschinen setzten Tschiemers ihr ganzes Erspartes ein. Viel fehlte nicht, aber trotzdem reichte es nicht ganz. Tschiemers hätten sich zu stark verschulden müssen. Deshalb stellten sie bei der Schweizer Berghilfe ein Gesuch um Unterstützung. «Wir waren unglaublich erleichtert, als die Berghilfe den fehlenden Betrag übernommen hat», sagt Marietta.
Zur Entscheidung, auf die Alphornwerkstatt zu setzen, hat auch die Tatsache beigetragen, dass einer der beiden Dorfläden Habkerns just zu diesem Zeitpunkt schliessen musste. Ein grosser Raum mit Schaufenstern, mitten im Dorfkern, wurde plötzlich nicht mehr gebraucht. «Es wäre für das Dorf gar nicht gut gewesen, wenn eine solche Liegenschaft nur als Lagerraum genutzt worden wäre», sagt Heinz. «Mit unserer Werkstatt bleibt das Zentrum lebendig.» Wenn alles nach Plan läuft, bringt die Alphornwerkstatt sogar neue Besucher nach Habkern. Heinz will Führungen durch seine Werkstatt anbieten und Touristen zeigen, wie die traditionellen Alphörner entstehen. Eine Zusammenarbeit mit Interlaken Tourismus ist aufgegleist, die ersten Gruppen sind bereits durch die Werkstatt geführt worden. Gesehen haben sie einen Betrieb, in dem mit modernen Methoden traditionelle Instrumente hergestellt werden.
Im Durchschnitt fertigt Heinz pro Woche ein Alphorn. Ein qualitativ erstklassiges Alphorn, wie er betont, für das Kunden ungefähr 3500 Franken bezahlen. «Es ist eine Wissenschaft für sich, ein richtig gutes Alphorn zu bauen. Wenn die Qualität aber stimmt, habe ich keine Probleme, so viele zu verkaufen, wie ich herstellen kann.» Jetzt gilt es erst einmal, das vom Vorgänger übernommene Wissen umzusetzen und Erfahrungen zu sammeln. Heinz Tschiemers Ziel ist aber, möglichst bald einen Mitarbeiter anstellen zu können. Und somit nochmals einen Beitrag daran zu leisten, dass Habkern lebendig bleibt.