«Am Montag will niemand Beeren kaufen», erkannte Nicolò Paganini bald, nachdem er im Jahr 2000 die Beerenproduktion gestartet hatte. Der Grund war einfach: «Die meisten Leute kochen am Wochenende aufwändiger und leisten sich dann eher etwas Teureres wie eben Beeren. Am Montag sind dann die Reste dran.»
Aber reifen tun die Früchte trotzdem. Sie müssen genauso wie an allen anderen Tagen in der kurzen Saison geerntet werden. Also wohin mit dem wertvollen Rohstoff? Ein starkes Gewitter brachte den Geschäftsführer von Piccoli Frutti auf Lösung: Damals beschädigte der Hagel die gerade reifen Beeren. Roh verkaufen liessen sie sich nicht mehr, also presste Nicolò sie kurzerhand mit einer Haushaltsmaschine zu Saft. Der kam sehr gut an. Nicolò begann, die nicht verkauften, aber intakten Montagsbeeren einzufrieren, um sie später im grösseren Stil zu Saft zu pressen. Inzwischen gibt es in den Hotels der Region neben dem üblichen Orangensaft solchen von Erdbeeren, Johannis- oder Himbeeren. Die Säfte wurden so beliebt, dass Nicolò die Nachfrage mit der bestehenden Infrastruktur nicht mehr befriedigen konnte. Mit Unterstützung der Schweizer Berghilfe baute er einen sterilen Verarbeitungsraum, wo rund 40 Prozent aller Beeren versaftet oder eingekocht werden.
Das Projekt in Kürze
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Beerenproduktion
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Verarbeitungsraum
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Campascio/GR
Wasser vom See lässt Beeren wachsen
«Heute schlafe ich definitiv besser, wenn es gerade gewittert», sagt der 50-Jährige lachend. Doch zum Glück ist das im unteren Val Posciavo selten der Fall. Eher ist es für die Landwirtschaft zu trocken. Aber auch das macht den Beeren nichts. «Sie brauchen viel Flüssigkeit, aber lieber von unten», sagt er. Das verlangt nach einer aufwändigen Bewässerungsinfrastruktur. Zum Glück war die schon da, bevor Nicolò mit dem Beerenanbau gestartet hatte. In den 1990er-Jahren hatten sich die Kraftwerksbetreiber, Bund, Kantone, Gemeinden und Eigentümer der Felder zusammengetan. «Viele Kilometer Leitungen sind verlegt. Unterhalb des Sees ist jede landwirtschaftliche Parzelle bewässert», erklärt Nicolò, «dank dieser Anlage kann ich die Beerenkulturen relativ günstig bewässern.»
Viele kleine Felder sind ein Glück
Im steilen Tal hat es nur wenige zusammenhängende Landwirtschaftsflächen. Deshalb terrassierten die Bewohner die Hänge seit je her mit Trockenmauern, um Ackerland zu gewinnen. Ende der 1990er-Jahre lagen aber viele dieser Felder brach. Paganini begann, die kleinen Parzellen der Nachbarn zu pachten. Heute bewirtschaftet er mit Piccoli Frutti 10 Hektar Land, verteilt auf über 70 Parzellen: Die niedrigsten liegen auf 600 Metern nahe der italienischen Grenze, die höchsten auf 1000 oberhalb von Brusio. Eigentlich ein Albtraum für einen Landwirt. Nicht so bei der Beerenproduktion. «Für uns sind die kleinen Parzellen ein doppelter Gewinn. Von der untersten bis zur obersten Parzelle liegt eine Woche Unterschied bei der Reifung. So können sich die gleichen Pflückteams immer wieder langsam vom Tal hocharbeiten», erklärt Nicolò, «und wenn eine Krankheit bei den Pflanzen ausbricht, greift sie nicht gleich auf alle Pflanzen über und ich verliere nur wenig von der Ernte».