Der Geschichte des Gotthards auf der Spur
Auf dem Dorfrundgang Göschenen kann man durch enge Stollen gehen wie die Tunnelarbeiter von anno dazumal.
Auf dem Dorfrundgang Göschenen kann man durch enge Stollen gehen wie die Tunnelarbeiter von anno dazumal.
Für die meisten Schweizer ist Göschenen nichts anderes als eine Ortschaft aus den Staumeldungen am Radio. Das Bergdorf am Gotthard hat aber eine spannende Geschichte, geprägt von der Entwicklung des Verkehrs, von Pioniertaten – und von Tunnels. Ein neuer, von der Schweizer Berghilfe mitfinanzierter Lehrpfad bringt diese Geschichte den Besuchern näher.
Mit dem NEAT-Basistunnel wird gerade Geschichte geschrieben am Gotthard. Einmal mehr. Der Pass ist seit der Zeit der Säumer im späten Mittelalter die Verbindung zwischen Nord und Süd. Hier wurden erste einfache Steinbrücken für Maultiere gebaut, im 17. Jahrhundert dann Strassen für Pferdekutschen. Später kam die Eisenbahn und mit ihr das gigantische Projekt des ersten Bahntunnels und später eines Wasserkraftwerks, um Strom für die Züge zu gewinnen. Vorläufiger Abschluss der Pioniertaten bildete in den 1980er-Jahren die Autobahn samt Tunnel. Und immer mitten im Geschehen: Das Dorf Göschenen am Nordportal des Gotthardtunnels. Mit den Grossbaustellen kam der Aufschwung. Als der Bahntunnel gebaut wurde, lebten zeitweise 3000 Arbeiter aus Italien im Dorf. Die lokale Bevölkerung vermietete ihre Häuser und baute sich selbst neue. Die Geschäfte brummten. Doch irgendwann ist jede Baustelle beendet, und nach der Feier kommt der Kater.
Von diesem Auf und Ab handelt der «Rundgang Gotthardtunneldorf». Im Bahnhof Göschenen und beim Gemeindehaus können Besucher gratis eine Broschüre mitnehmen, die Geschichte und Geschichten von 14 interessanten Punkten im Dorf erläutert, und sich selbständig auf Erkundungstour machen. Dabei kommen sie einem Streik mit Todesopfern auf die Spur, vergleichen Brücken für fünf Generationen von Verkehrsmitteln und erhalten im engen Stollen einen Eindruck von der harten Arbeit der Tunnelbauer.
Den Rundgang realisiert hat der Historiker und Museologe Kilian T. Elsasser. Seine berufliche Laufbahn – er arbeitete lange im Verkehrshaus Luzern – brachte ihn schon vor Jahrzehnten mit dem Gotthard in Berührung. Das Interesse wuchs, mit ihm das Wissen, und ehe er sich versah, war Elsasser der Experte für alles, was mit der Geschichte des Gotthards zu tun hat. Durch seine Arbeit fühlte sich der Luzerner nicht nur dem Gotthard, sondern auch der Gemeinde Göschenen immer mehr zugetan und kaufte schliesslich sogar das alte Schulhaus, das er nun als Atelier und Zweitwohnsitz nutzt. «Man ist hier von Geschichte umgeben, man stolpert sozusagen darüber», erklärt er seine Faszination für dieses besondere Bergdorf. Kein Wunder war es dem professionellen Museumsgestalter ein Anliegen, auch die Öffentlichkeit an dieser Geschichte teilhaben zu lassen. «Vielen Göschenern war kaum bewusst, wie einzigartig die Geschichte ihres Dorfes ist», sagt er. «Und den wenigen Besuchern erst recht nicht.»
Also machte sich Elsasser auf die Suche nach Unterstützung für seine Idee eines historischen Dorfrundgangs. Beim Gemeindepräsidenten Felix Cavaletti rannte er offene Türen ein. Dieser sah sofort das touristische Potenzial der Idee: «Bei uns steigen viele Leute von der SBB auf die Matterhorn-Gotthard-Bahn um. Ich bin sicher, dass sich die einen oder anderen gerne eine Stunde Zeit nehmen, um mehr über die Geschichte des Gotthards zu erfahren.» Auch auf die Gäste des neue Resorts in Andermatt setzt Cavaletti einige Hoffnungen. «Unser Dorfrundgang eignet sich hervorragen für einen Halbtagesausflug, wenn das Wetter mal nicht mitspielt.» Doch mit der Begeisterung des Gemeindepräsidenten für das Projekt war es noch nicht getan. Trotz Unterstützung durch den Kanton, Andermatt Tourismus, verschiedene Stiftungen und Sponsoren kamen die für die Realisierung der Ausstellung nötigen 95‘000 Franken nicht zusammen. Erst als die Schweizer Berghilfe zusicherte, die noch fehlenden 15‘000 Franken zu übernehmen, zeigten die Ampeln grün.
Für die Schweizer Berghilfe ist der «Rundgang Gotthardtunneldorf» ein nicht ganz alltägliches Projekt. Aber eines, das Sinn ergibt, wie Geschäftsführerin Regula Straub erklärt: «Es baut auf die einzigartigen Besonderheiten von Göschenen auf. Es wird Besucher anziehen, die in Restaurants einkehren und in den Läden einkaufen. So entsteht für diese Randregion eine wichtige zusätzliche Wertschöpfung.»