Der Handörgelibauer

In seiner neuen Werkstatt will Hausi Zürcher das perfekte Handörgeli bauen.

Kompromisse sind nicht Hausi Zürchers Ding. Er will die besten Schwyzerörgeli der Welt bauen; nichts weniger. Seine Zürcher-Örgeli sind nahe dran, werden von Kennern in der ganzen Schweiz geschätzt. Aber an die Altmeister-Instrumente aus den 1920er-Jahren kommen sie noch nicht ganz heran. Fasziniert von der komplexen Materie tüftelt Zürcher in seiner neuen Werkstatt weiter.

Letzte Schwaden des Morgennebels ziehen noch um die Hügel des Toggenburgs, die ersten Sonnenstrahlen fallen auf im Raureif glitzernde Weiden und auf ein altes, am Hang gebautes Bauernhaus. An dessen einer Seite ist die Holzfassade ganz hell. Dort wurde kürzlich gebaut. Lange Schlitze im Holz verraten, dass darunter grosse Fenster liegen müssen. Durch diese Fenster fällt das Licht in ganz spezielle Räume: in die Handharmonika-Manufaktur Zürcher-Örgeli. Hausi Zürcher sitzt an einem Stuhl an der Werkbank, vor sich ein demontiertes Örgeli. Er ist gerade daran, einen Service zu machen. Alle zehn bis fünfzehn Jahre ist das auch bei den besten Handörgeli nötig. Dabei wird das ganze Instrument gereinigt, entstaubt, die Mechanik justiert, das Gehäuse wo nötig abgedichtet. Die rund 250 Tonzungen aus Metall müssen gereinigt und nachgerichtet werden. Pro Tonzunge sorgt ein Lederventil dafür, dass bei Bedarf Luft durchströmt und die Zunge ins Schwingen versetzt. Oft ist es nötig, diese winzigen Ledersteifen zu ersetzen, weil sie spröde geworden sind. Erst dann kann Hausi mit dem eigentlichen Stimmen beginnen.

«Das Handörgeli-Fieber hat mich schon als Jugendlichen gepackt», erzählt der 42-jährige Hausi. «Zuerst habe ich nur gespielt, doch schon bald habe ich mein erstes Örgeli auseinandergenommen und die komplexe Mechanik studiert, bevor ich mich daran wagte, kleine Störungen zu beheben.» Bald schon brachten ihm Freunde und Bekannte ihre Instrumente, wenn damit etwas nicht stimmte. Das war vor 20 Jahren. Reparaturen und Services sind auch heute noch ein wichtiges Standbein für Hausi Zürcher, doch seine Leidenschaft ist inzwischen die Herstellung eigener Örgeli. Als Vorbild dienen ihm die «Jos. Nussbaumer»-Instrumente aus den 1920er Jahren – die Stradivari unter den Schwyzerörgeli. Hausi versucht, deren unverwechselbare Ton mit der heute möglichen Präzision im Technischen und Mechanischen zu kombinieren. Und dabei kennt er keine Kompromisse: «Ich bin immer am Forschen. Und wenn ich ein Detail entdecke, das den Ton auch nur ein kleines Bisschen verbessert, dann fliesst das sofort in die Produktion ein.» Allerdings ist er noch ganz nicht am Ziel. Die Nussbaumer-Instrumente klingen immer noch ein bisschen besser. Und bis er diesen Standard erreicht hat, tüftelt Hausi weiter, findet Details, die er verbessern kann, und perfektioniert seine Örgeli weiter. Die Kehrseite: Der Herstellungsprozess wird immer komplizierter und aufwändiger. Wie viele Stunden er genau an einem Örgeli arbeitet, hat er bewusst nie aufgeschrieben. «Es dauert solange, wie es nötig ist», sagt er.

Das Projekt in Kürze

  • Bergbauernfamilie
  • Umbau des Wohnhauses
  • Ebnat-Kappel/SG

Die Musikanten warten jeweils sehr lange auf ihr bestelltes Instrument und bezahlen auch eine stolze Summe dafür, pro Jahr verlassen aber nur eine knappe Handvoll Örgeli die Werkstatt. Deshalb wird Hausi nicht reich davon. Die Einkünfte reichen zwar zum Leben, aber für alles, was über die Grundbedürfnisse hinausgeht, ist die vierköpfige Familie auf das Einkommen von Hausis Frau Kathrin aus der Teilzeitstelle als Alters-Pflegerin angewiesen. Deshalb wurde es finanziell auch eng beim Umbau des alten Bauernhauses, in dem die Familie Wohnen und Arbeiten unter einem Dach zusammengebracht hat. Zwar verzichteten Zürchers auf jeden Luxus, machten nur das Nötigste und erledigten viele Arbeiten selbst, dennoch hätten sie das Projekt aus eigener Kraft nicht stemmen können. Erst als die Schweizer Berghilfe ihre Unterstützung zusagte, konnten sie anfangen, ihre Pläne zu verwirklichen.

«Es war ein riesiger Chrampf, aber es hat sich gelohnt», sagt Hausi nach den ersten Monaten im neuen Haus. Zwar wird es noch Monate dauern, bis er in seine Werkstatt wieder die Ordnung gebracht hat, die er sich wünscht, doch die Vorteile zeigen sich bereits deutlich: «Ich habe für Geschäft und Familie mehr Luft. Wenn meine Frau Spätdienst hat, dann kann ich die Kinder ins Bett bringen und danach nochmals in die Werkstatt.» Aber vor allem erleichtert ihm die Abgelegenheit und die Ruhe das Arbeiten beim Stimmen. Früher, in der Industriehalle in Ebnat-Kappel, stimmte die Umgebung einfach nicht für dieses traditionelle Instrument. Auf potenzielle Kunden wirkte die Lage eher abschreckend. «Hier in dieser schönen Landschaft ist eine Handharmonika-Manufaktur einfach am richtigen Ort.»

zuercher-oergeli.ch

Text: Max Hugelshofer

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im März 2014
Die Schweizer Berghilfe leistet finanzielle Unterstützung, wenn das Geld nicht ausreicht, um ein zukunftsweisendes Projekt zu realisieren.