Die Viamala bringt Strom und Touristen
In der Viamala-Schlucht kann man ein Stück Klimageschichte erleben.
In der Viamala-Schlucht kann man ein Stück Klimageschichte erleben.
Manchmal lohnt es sich, den langsameren Weg zu wählen. Wer nämlich von Thusis auf der alten, kurvenreichen Landstrasse Richtung San Bernardino fährt, kommt an einem Denkmal vorbei: der Viamala-Schlucht. Und wer dort Halt macht und die 359 Treppenstufen hinuntersteigt, kann in die Vergangenheit reisen.
Die Säumer, die zu Zeiten der Römer mit ihren Lastentieren die Route entlang des Hinterrheins auf sich nahmen, um Güter über die Alpen zu transportieren, gaben ihr den Namen «Schlechter Weg». Heute ist die Viamala verkehrstechnisch gebändigt. Die tiefe Schlucht, entlang derer der Weg zwischen Thusis und Zillis verläuft, hat aber kein bisschen von ihrer Imposanz verloren. Den Anfang machte das Gletschereis, das ein immer tieferes Bett in den Untergrund schliff. Seit dem Ende der letzten Eiszeit vor 10’000 Jahren ist es der Hinterrhein, der sich unentwegt seinen Weg durch den Fels gebahnt hat und dabei die stellenweise 300 Meter tiefe Schlucht entstehen liess. Diesen Erosionsprozess veranschaulichen die 359 Treppenstufen, die ans Wasser hinunterführen. «Jede Stufe entspricht 80 Jahren in der Entstehungsgeschichte der Schlucht», weiss Thomas Rüegg, Hotelier und Verwaltungsratspräsident der Genossenschaft Viamala, die sich um den touristischen Betrieb in der Schlucht kümmert.
Mit der Erschliessung des Gotthardpasses im 13. Jahrhundert nahm die Bedeutung der Viamala als Handelsroute und Verkehrsachse zusehends ab – dafür entdeckte man ihr touristisches Potenzial. 1903 wurde die Schlucht mit den Treppen, die man noch heute hinabsteigt, und einem Besucherpavillon erschlossen. Dieser wurde später durch einen einfachen Kiosk ersetzt. «Um die Viamala-Schlucht wieder attraktiver zu machen, liess unsere Genossenschaft 2014 ein modernes Besucherzentrum mit einem kleinen Bistrot und einer Terrasse bauen», erzählt Rüegg. Doch damit allein war es nicht getan. Eine alte, morsche Holzbrücke auf dem Abstieg in die Schlucht musste dringend ersetzt werden. An ihrer Stelle gib es heute eine Zwillingsbrücke, die mit Unterstützung der Berghilfe realisiert wurde.
«Wir haben uns bewusst für eine Zwillingsbrücke entschieden, weil sich die Besucherströme über die zwei getrennten Stege besser leiten lassen und es so weniger zu Staus kommt, wenn die Leute verweilen und Fotos machen wollen», sagt Rüegg. Eine sinnvolle Investition, denn an Spitzentagen sind es schon mal 4000 Gäste. Insgesamt zieht es von April bis November rund 60’000 Besucher in die Viamala-Schlucht. «Die meisten rauschen hier einfach durch, machen schnell ein paar Fotos und ziehen wieder ab. So ist das heutzutage», meint Rüegg schmunzelnd. «Aber das Erlebnis ist ein anderes, wenn man sich Zeit nimmt. Am liebsten sitze ich hier oben auf der Besucherterrasse, blicke in die Schlucht hinunter und geniesse den Moment. Nur so kann man die archaische Stimmung auf sich wirken lassen, den Wind und das Rauschen des Wassers wahrnehmen.»
Nach einem rekordverdächtig trockenen Sommer ist das Rauschen in diesen Septembertagen aber eher zu einem lieblichen Plätschern verkommen. «Was wir jetzt sehen und hören ist nur noch die Restwassermenge, die die Kraftwerke weiter flussaufwärts noch durchlaufen lassen müssen», weiss Rüegg. Sollten sich solche Trockenperioden wie 2018 häufen, würden nicht nur die Stromproduzenten darunter leiden, sondern auch der Tourismus. Ohne das türkisblau schimmernde Wasser wäre die Schlucht zwar immer noch einen Besuch wert, aber nur noch halb so eindrücklich. «Insofern lässt uns der Klimawandel natürlich nicht kalt. Denn die Viamala ist ein Motor für den Sommertourismus in unserer Region», sagt Rüegg. Viele Besucher, die wegen der Schlucht hierherkommen, nutzen weitere Angebote, seien es Hotels, Restaurants, Camping-Plätze, Dorfmuseen und andere Sehenswürdigkeiten. Davon profitieren am Ende alle 39 Gemeinden, die im Einzugsgebiet des Hinterrheins liegen. Und zwar nicht nur bei Sonnenschein. «Das grosse Plus der Viamala-Schlucht ist, dass sie selbst an Schlechtwettertagen ein Ausflugsziel ist», sagt Rüegg und fügt schmunzelnd hinzu: «Ich persönlich finde ja, dass der Charakter der Viamala bei Regen am besten zur Geltung kommt. Wenn dunkle Wolken über der schroffen Schlucht hängen, versteht man, warum die römischen Säumer der Viamala ihren Namen gegeben haben.»