Hier kommt die Arbeit per Post

Mehr als 5000 Paar Schuhe reparieren Bernhard Schnyder und sein Mitarbeiter pro Jahr. Sie besetzen damit eine wichtige Nische. Das Geschäft läuft so gut, dass die bisherige Werkstatt in der ehemaligen Post von Stein im Toggenburg hoffnungslos zu klein geworden ist. Inzwischen hat Bernhard im ehemaligen Kuhstall einen neuen Firmensitz gebaut.

Fein säuberlich in Reihen und nach Grösse sortiert, stapeln sich die Schuhsolen. Dutzende verschiedene Modelle in allen Grössen hat Bernhard Schnyder auf Lager. In hundertfacher Ausführung. Denn er braucht viele davon. Jetzt im Winter läuft am wenigsten, aber auch an diesem Vormittag im Februar 2024 haben er und sein Mitarbeiter Laurin Salzgeber bereits elf Wanderschuhe neu besohlt, einen Riss im Leder eines Bergstiefels genäht, neue Arbeitsschuhe im Zehenbereich ausgeweitet, orthopädische Einlegesohlen angepasst und ein paar Trachtenschuhe geflickt. Zwischen Frühling und Herbst ist dann so viel los, dass sich Bernhard und Laurin ihren Weg seitwärts durch die vielen Schuhschachteln bahnen müssen, die sich überall in die Höhe türmen.

Die Arbeit kommt beim Schuhservice Schnyder per Post. Jeden Tag liefert der Pöstler zwischen einem Dutzend und fast hundert Schuhschachteln mit «Patienten» darin an. Mehr als 5000 pro Jahr. Sie kommen vereinzelt von Privaten, aber vor allem von Sport- und Schuhgeschäften aus der ganzen Schweiz. «Von zwei Schuhmarken dürfen wir direkt die Garantiereparaturen ausführen», sagt Bernhard. Schuhmachergeschäfte wie seines gibt es immer weniger. «Ausser uns gibt es in der Schweiz aktuell nur noch vier Betriebe, die wie wir alle Reparaturen anbieten können», sagt er.

Das Projekt in Kürze

  • Schuhmacherei
  • Neue Werkstatt
  • Stein/SG

Per Inserat zum Traumberuf

Bernhard selbst ist per Zufall zur Schuhmacherei gekommen. Als Landwirt im Toggenburg suchte er nach einem neuen Nebeneinkommen. Eines Tages las ihm seine Frau Tanja ein Inserat in der Zeitung vor: «Schuhmacher sucht Nachfolger». Etwas skeptisch fuhr er ins Rheintal, um einen Tag lang in den Betrieb reinzuschnuppern. Und war begeistert: «Am Abend wusste ich, dass ich diese Arbeit von jetzt an machen will.» Das war vor 14 Jahren. Seither hat Bernhard sehr viel gearbeitet, viele Wochenenddienste eingelegt und nie Ferien gemacht. Immerhin hat der Aufwand Früchte getragen. Bernhard hat die Umsätze jedes Jahr deutlich gesteigert, das Geschäft vom Rheintal in seinen Wohnort Stein geholt, mit der Landwirtschaft aufgehört und kürzlich seinen Mitarbeiter Laurin angestellt. «Er ist ein Glücksfall», sagt Bernhard. «Es ist extrem schwierig, gutes Personal zu finden, und bis man jemanden richtig ausgebildet hat, dauert es Jahre», sagt er. Laurin hingegen war bereits ausgebildeter Schuhmacher und Orthopäde und konnte vom ersten Tag an voll arbeiten.

Neue Werkstatt im Kuhstall

Das einzige Problem ist, dass sich die beiden in der engen Schuhmacherwerkstatt, die früher bereits als Poststelle, Schulhaus und Bank gedient hatte, ständig auf den Füssen herumstehen. Das wird sich bald ändern. Im ehemaligen Kuhstall seines Bauernbetriebs, einen halben Kilometer von der Hauptstrasse entfernt, entsteht zum Zeitpunkt der Reportage gerade eine komplett neue Schuhmacher-Werkstatt. Mit genügend Platz, viel Licht und einem professionellen Entlüftungssystem, damit Bernhard und Laurin nicht mehr ständig die Dämpfe der verschiedenen Verdünner, Reinigungsmittel und Klebstoffe einatmen müssen. Denn einen Schuh neu zu besohlen, ist besonders in Sachen Chemie eine Kunst. Zuerst geht es sehr klassisch zu und her: Mit einer kleinen Bandsäge wird zuerst die alte Sohle und die Zwischensohle grob entfernt. Dann geht es an die Schleifmaschine, wo die letzten Gummi- oder Kunststoffreste abgetragen werden. Dann kommen die geheimen Mittelchen zum Einsatz. Je nach Material von Schuh und Zwischensohle braucht es verschiedene Reiniger, Mittel zum Vorbereiten und Leime. Und je länger je mehr bestehen Schuh und Sohle aus vielen verschiedenen Materialien. Da kann es gut sein, dass Bernhard für einen einzigen Schuh den Inhalt von zehn verschiedenen Büchsen, Dosen und Kanistern benötigt.

schuhservice-schnyder.ch

Text und Bilder: Max Hugelshofer

Erschienen im November 2024

Die Wäscheklammer-Arche-Noah

Was darf nie passieren in einer Schuhmacherwerkstatt? Dass man nicht mehr weiss, welche Schuhe zu welchem Kunden gehören. Gerade wenn wie beim Schuhservice Schnyder im Toggenburg meist dutzende Schuhe gleichzeitig bearbeitet werden und in verschiedenen Stadien der Reparatur in der Werkstatt herumliegen. Um Ordnung zu halten, verwendet Bernhard Schnyder kein topmodernes Computersystem, sondern gute, alte Auftragszettelchen und vor allem – Wäscheklammern. Er besitzt sie hundertfach, und zwar immer paarweise in verschiedensten Farben und Materialien. Der grösste Teil dieser Wäscheklammer-Arche-Noah ist handverziert von seiner Tochter Marina, damit man die einzelnen Paare auch wirklich auseinanderhalten kann. Sobald Bernhard mit der Arbeit an einem Schuh beginnt, klemmt er eine der beiden Klammern daran. Die andere kommt an die dazugehörige Schachtel mit den Angaben der Kundin oder des Kunden drauf. Bernhard: «Bis jetzt hat mich dieses System noch nie im Stich gelassen.»

Die Schweizer Berghilfe leistet finanzielle Unterstützung, wenn das Geld nicht ausreicht, um ein zukunftsweisendes Projekt zu realisieren.