Jeden Tag den Rekord vor Augen

Den Sommer über zieht es Familie Schranz auf die Alp. Und zwar alle sechs. Auch die vier Söhne freuen sich auf die Alpzeit, selbst wenn diese viel Arbeit bedeutet. Für die beiden Jüngsten ist allerdings auch eine tägliche Schussfahrt mit dem Velo inbegriffen.

Reicht es heute für einen neuen Rekord? Der 15-jährige Andreas tritt nochmals einen Zacken kräftiger in die Pedale, ein Blick über die Schulter, wo der zwei Jahre jüngere Bruder Martin bleibt, dann den Kopf tief über den Lenker. Jetzt kommt die enge Kehre. Anbremsen, Kieselsteine spicken auf alle Seiten, der schwere Schulrucksack drückt nach aussen. Geschafft. Und wieder Gas geben.

Wenig später bremsen Andreas und Martin ihre Velos mit effektvoll blockiertem Hinterrad vor dem Schulhaus
in Adelboden ab. Der erste Blick gilt der Uhr. Waren es weniger als zehn Minuten? Nein, es hat wieder nicht gereicht. Der Grund ist schnell ermittelt: «Der Alpobmann hat gestern mit dem Bagger die Ablaufrinnen neu gemacht. Die bremsen», sagt Andreas mit Kennermiene. «Ja, aber es sind auch super Schanzen», gibt Martin
zu bedenken.

Aus ihrem langen Schulweg haben die Schranz-Buben einen Wettbewerb gemacht. Am Abend zuvor nach dem Znacht haben die beiden älteren Brüder, die inzwischen mit dem Auto zur Arbeit fahren, von vergangenen Bestzeiten für die Abfahrt zwischen Alp Tiefenboden und dem Schulhaus geprahlt – und die beiden Kleineren noch mehr angestachelt. Thomas, der Zweitälteste, behauptete, den Weg in sechs Minuten geschafft zu haben. So richtig glauben mochte das niemand, besonders Fritz, der Älteste nicht. Immerhin benötige er mit dem Auto mehr als 20 Minuten, gibt er zu bedenken. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: «Das liegt nur daran, dass du mit deinem klapprigen Subaru extra langsam fahren musst, damit du nicht wieder die Stosstange
verlierst.»

Das Projekt in Kürze

  • Bergbauernfamilie
  • Alphütte
  • Adelboden/BE

Das Reissen im Frühling

Während Andreas und Martin die Schulbank drücken und Fritz junior und Thomas auf der Arbeit sind, steht Mutter Judith am Käsekessi. Aus der Milch ihrer Kühe und der von zwei benachbarten Alpen produziert sie Berner Alpkäse und Mutschli. Zwei Tonnen pro Jahr. «Es ist viel Arbeit, und trotzdem kann ich es im Frühsommer jeweils kaum erwarten, wieder z’Alp zu gehen.» Sohn Thomas behauptet sogar, dass sie schon kurz nach Weihnachten kribbelig werde. Das Alpfieber hat die ganze Familie gepackt. Vater Fritz verbrachte schon als Kind seine Sommer hier oben und kann sich nichts anderes vorstellen.
Heute muss er jedoch ins Tal runter. Zum Heuen. Und danach noch an die Feuerwehrübung. «Wir leben hier oben zwar abgeschieden, sind aber immer noch Teil vom Dorfleben.»

Der Tag vergeht wie im Flug: Kühe melken, käsen, Stall ausmisten, im Keller Käse wenden, Blaken stechen, Zäune kontrollieren, Essen kochen, Schweine füttern, Feuerholz hacken. Es ist viel Arbeit, aber seit vergangenem Jahr geht alles viel besser. Dann konnten Schranzs erstmals die neue Alphütte in Betrieb nehmen. Jetzt haben sie mehr Platz, können die Hygienevorschriften beim Käse einhalten und effizienter arbeiten. Bis die Hütte endlich stand, erlebte die Familie jedoch eine wahre Odyssee. Ausgerechnet ein paar Tage vor Baubeginn fanden die Ärzte endlich heraus, warum Fritz seit Monaten immer schlechter zwäg war: ein Herzfehler, der sofort operiert werden musste. Die Folge war, dass Fritz nicht selber anpacken konnte und den Bau quasi vom Spitalbett aus koordinierte.

Doch schlussendlich stand die Hütte, und vor allem ging es mit Fritz’ Gesundheit wieder aufwärts. «Das Ganze hat uns noch mehr zusammengeschweisst», sagt Judith. Dabei ist die Partnerschaft der beiden sonst schon alles andere als gewöhnlich. Geboren am selben Tag im selben Dorf wurden die beiden gemeinsam getauft und wuchsen fast miteinander auf. Dass sie irgendwann in der Schulzeit ein Paar wurden, wunderte niemanden. Als sie schliesslich heirateten, zeigte die Hochzeitseinladung ein Bild der beiden, auf dem sie als Dreijährige gemeinsam auf dem Sofa sitzen. Nur auf der Alp, da waren sie als Kinder noch nicht gemeinsam.

Text: Max Hugelshofer

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im September 2020

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