Mit beiden Beinen auf steilem Boden
Katharina Lüthi hat sich für ein einfaches Leben als Selbstversorgerin entschieden.
Katharina Lüthi hat sich für ein einfaches Leben als Selbstversorgerin entschieden.
Ein Dutzend Hühner, 20 Ziegen, ein paar Hundert Bienen und einen grossen Gemüsegarten, mehr braucht Katharina Lüthi nicht. Die Landwirtin fand ihr Glück im einfachen Leben hoch über der Maggia, im Tessiner Bergdorf Menzonio.
«Hier vor meinem Cheminée in der kleinen Stube entspanne ich mich am liebsten, da kann ich gut mal zwei Stunden meine beanspruchten Schultern wärmen und dabei meine Gedanken fertig denken. Früher ist mir das selten gelungen, zwischen Hof, Haushalt und der ganzen Alltagshektik. Da oben in Menzonio sind es nur noch die Tiere, die meinen Tagesablauf bestimmen. Etwas Eigenes aufzubauen war mein Ziel, als ich vor sechs Jahren mit meinen zwei Pferden und 15 Ziegen hierher gezogen bin. Ich wollte ein selbstbestimmtes Leben führen, und nahm dafür einiges in Kauf. Ich befürchtete, die geografische Distanz zu meinen Kindern, die bei ihrem Vater im Bündner Val Schons blieben, würde meine Beziehung zu ihnen gefährden. Diese Angst war unbegründet, im Gegenteil, wir sind uns heute näher denn je.»
«Das terrassierte Stück Land, auf dem ich meinen kleinen Landwirtschaftsbetrieb aufgebaut habe, musste ich erst einmal von der Vergandung zurückerobern. Die Sträucher und Bäume, die die einstige Weidefläche zu einem grossen Teil eingenommen hatten, habe ich, Ster für Ster, zu Feuerholz verarbeitet. Das alte Rustico oben am Hang baute ich zu einem Geissenstall aus, im Dachstock entsteht zusätzlich ein einfaches Studio mit Küche für meinen zukünftigen Lernenden. Weiter unten steht das Bienenhaus mit integriertem Honigverarbeitungsraum. Traurigerweise steht es um meine Bienenvölker gar nicht gut, zwei der fünf hat die aggressive Varroa-Milbe bereits dahingerafft und auch die anderen Völker sind befallen. Täglich die toten Bienchen unter den Waben zu entfernen, macht mir schon zu schaffen. Ich hoffe, dass wir den Parasiten bald wieder Herr werden. Fleissig sind die Bienen dennoch. Ihren Honig verkaufe ich zusammen mit den selber hergestellten Bienenwachskerzen, dem Ziegenkäse, den Hühnereiern, dem eingemachten Gemüse und der Konfitüre auf dem lokalen Markt.»
«Eigentlich kann ich hier oben fast alles selber produzieren, was ich zum Leben brauche. Nur selten fahre ich zum Einkaufen oder wegen eines Termins ins Tal. Quasi als Selbstversorgerin zu leben, ist trotz der bescheidenen finanziellen Situation ein unbezahlbares Gefühl. Nicht nur mir bringt dieser Ort eine gewisse Ruhe ins Leben. Im Rahmen eines Auffangprogramms nehme ich regelmässig Jugendliche in Krisensituationen bei mir auf, die eine Auszeit aus ihrem Alltag brauchen. Manche machen nach zwei Stunden wieder kehrt, andere bleiben gleich mehrere Wochen. Ich versuche, jeden der jungen Menschen anzunehmen, wie er ist, ihren akuten Zustand zu berücksichtigen, dabei aber immer authentisch zu bleiben und klar zu kommunizieren, was ich im Gegenzug erwarte. Ihre Bedürfnisse sind ganz unterschiedlich, einige suchen ein offenes Ohr, andere einfach Ruhe. Die meisten beginnen jedoch bald im Haushalt oder auf dem Hof mitanzupacken und schätzen die körperliche Arbeit und die Nähe zu den Tieren. Der Abstand zu ihrem oft problematischen Umfeld und zum Druck der Gesellschaft gibt vielen eine neue Perspektive aufs Leben. Als Meisterlandwirtin bilde ich aber auch junge Landwirtinnen und Landwirte aus. Nach Lernenden oder Praktikanten habe ich nie aktiv gesucht, immer wieder erreichen mich Anfragen. Wenn’s passt, finden sie mich von selbst.»
«So ging es mir wohl auch mit Claudio. Als ich einen Engpass hatte, lief ich runter zu seinem Hof, um ihn um einen Ballen Stroh für meine Pferde zu bitten. Bald darauf fragte er mich, ob wir im Frühling nicht zusammen aufs Maiensäss sollten mit unseren Tieren, so könnten wir uns gegenseitig aushelfen und Gesellschaft leisten. Aus einem gemeinsamen Alpfrühling wurden zwei und dann drei. Dieses Jahr wird es wohl schon der sechste. Mir war schnell klar, dass er ziemlich eigenwillig und auch etwas kauzig war, liess mich davon aber nicht gross beeindrucken. Ich habe ja schliesslich auch meinen eigenen Grind. Vielleicht kommen wir gerade deshalb so gut miteinander klar. Von Anfang an konnten wir sehr gut zusammen schaffen, und dass mein Italienisch damals noch nicht fliessend war, kam uns kaum in die Quere. Claudio ist hier geboren. Wie schon sein Grossvater bewirtschaftet er einen kleinen Hof mit Ziegen und einigen Kühen und verbringt den Frühling mit den Tieren auf den höher gelegenen Weiden. Für ihn und nun auch für mich ist klar, dass wir hier alt werden möchten – und dies am liebsten zusammen. Das Rustico, in dem ich seit fünf Jahren zur Miete wohne, liegt genau zwischen unseren beiden Höfen. Als es plötzlich verkauft werden sollte, musste ich handeln. Ich konnte nicht riskieren, dass ich weiter weg von meinen Tieren ziehen muss. Das Rustico selbst zu erwerben, erwies sich als die langfristig beste Lösung. Alleine hätte ich die Finanzierung aber nicht stemmen können. So entschied ich, die Schweizer Berghilfe um Unterstützung anzufragen. Nun ist unsere Zukunft hier oben gesichert. Die beiden Kleinbetriebe und unsere Unabhängigkeit sind alles, was wir zum Leben brauchen.»