Mittendrin im Alperlebnis

Auf der Alp Glivers oberhalb vom bündnerischen Sumvitg werden Interessierte in den Alltag integriert und erhalten Unterricht in Sachen Alpwirtschaft und Umwelt.

Dessert! Mit kaum zu bändigender Vorfreude sitzen die Kinder am Holztisch auf der Terrasse vor der Hütte der Alp Glivers. Begeistert schauen sie Nadia Deplazes zu, wie sie behände leckere Dessertteller anrichtet: Meringues, Himbeercrème sowie aus Alp-milch hergestellte «Nidle». Im Nu ist die Portion verschlungen. Angesichts der süssen Verlockung haben die Kinder keine Augen für das herrliche Bergpanorama der Surselva, die Natur oder die Kühe auf den Weiden. Doch bei Nadia und David Deplazes, die Mitglied der Genossenschaft Amarenda sind und das agrotouristische Angebot auf Alp Glivers führen, steht etwas anderes im Mittelpunkt: «Wir wollen ein gänzlich anderes Alperlebnis vermitteln», sagt der Bergbauer David. «Wir bieten unseren Gästen Umweltbildung mit Schwerpunkt Alp an. Denn Hütten oberhalb der Baumgrenze, in denen Touristen essen und übernachten können, gibt es schon genügend.» Zielpublikum sind Schulen, Vereine und Firmen. «Bei uns sollen die Gäste selber Hand anlegen können», sagt Nadia, die Bergbäuerin und ehemalige Primarlehrerin. «Wir wollen das Verständnis für unsere Arbeit wecken statt das Leben auf der Alp zur Schau stellen.» Dies ist ganz im Sinn der Genossenschaft Amarenda, in der sich 2005 acht Berglandwirtschaftsbetriebe aus Sumvitg zusammengeschlossen haben. Nebst der Vermarktung regionaler Produkte und agrotouristischer Angebote ist es ein wichtiges Ziel, Feriengästen und Einheimischen im persönlichen Kontakt Einblick in die ökologische Produktion hochwertiger Erzeugnisse bieten.

Deshalb beginnt das Alperlebnis Glivers nicht erst auf 1900 Meter über Meer, sondern rund 1000 Höhenmeter weiter unten im Tal. Der geführte Aufstieg von Sumvitg aus ist ein wichtiger Bestandteil des Angebots. Während der circa zweieinhalb Stunden dauernden Wanderung erhalten die Gäste ausführliche Informationen über die wechselnde Fauna und Flora, über das Zusammenspiel von Talbetrieb, Maiensäss und Alp oder über die Nahrungsmittelproduktion. Für die Kinder stehen an diesem Älplertag beispielsweise Käsen, Kräutersammeln für den Thymiantee oder die Begleitung des Hirten auf dem Programm, wenn dieser am späteren Nachmittag die rund 100 Kühe zusammentreibt, um sie auf der benachbarten Alp zu melken.

Das Projekt in Kürze

  • Bergbauern
  • Umbau eines Stalls
  • Surrein/GR

Die Idee für das Projekt Alp Glivers gärte schon länger in den Köpfen von Nadia und David, die in Surrein einen Betrieb mit Mutterkuhhaltung führen. «Wir diskutierten immer wieder, wie wir Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermassen am Alpleben teilhaben lassen und dadurch neue Wertschöpfung für die Region generieren können», sagt Nadia. Im Rahmen eines Nachdiplomstudiums widmete sie ihre Abschlussarbeit diesem Thema. Doch dann wanderte das Papier vorerst in die Schublade. «Ich war schwanger mit unserem zweiten Kind. Dazu kamen die strenge Arbeit im Talbetrieb und unsere anderen Agrotourismus-Projekte», sagt sie und gibt zu, dass für sie das Thema Alperlebnis eigentlich abgeschlossen war. Nicht jedoch für David. «Er war das Zugpferd», sagt Nadia.David glaubte an die Machbarkeit des Projekts, und hatte den passenden Ort: Die Alp Glivers. Dort waren Ende der 1990er-Jahre zwei Alpen, die «innere» und die «äussere», zu einer einzigen Alp zusammengelegt worden. Dadurch stand die eine Hütte leer. Noch war der Weg zur Realisierung des Projekts weit. Da erhielten David und Nadia wichtigen Support: Die Alpkooperation «D’Alps Sumvitg», der 40 Bergbauern angehören, fasste den Beschluss, den Alpstall im Baurecht zu erwerben und ihn für 20 Jahre an Amarenda zu verpachten. Doch weiterhin fehlte das Geld für den notwendigen Umbau des Stalls. Als Teil eines weiteren Verbunds, dem Center Sursilvan d’Agricultura, erhielt die Erlebnisalp Glivers zwar Zugang zu Bundes- und Kantonsgeldern, und auch die Alpkooperation gab ein zinsloses Darlehen. Dennoch blieb ein bedeutender, ungedeckter Restbetrag. «Erst dank der Unterstützung durch die Schweizer Berghilfe konnten wir den Umbau schlussendlich in Angriff nehmen», sagt David. «Ohne diesen Beitrag hätten wir dieses Angebot nicht verwirklichen können.»

Am 1. Juli 2012 war das Eröffnungsfest auf der Alp Glivers. Die über 400 Besucher wurden nicht nur mit Alpkäse von der Alp Glivers und Würsten vom Dorfmetzger in Surrein verwöhnt, sie konnten sich auch davon überzeugen, wie zweckmässig, gemütlich und hell die Hütte innen geworden ist ohne die Aussenmauern oder das Dach zu verändern. Heimisches Fichtenholz sorgt sowohl im Ess- und Aufenthaltsraum als auch in den Schlafräumen auf dem ehemaligen Heuboden, die bis zu 30 Personen Platz bieten, für heimelige Wärme. Zu essen gibts regionale Spezialitäten mittags kalt, abends warm. Gekocht wird auf dem Specksteinofen. Obwohl die Hütte nun eröffnet und vieles aufgegleist ist, besteht für Nadia und David kein Grund, sich auszuruhen. «Noch liegt sehr viel Arbeit vor uns», sagt David. «Wir möchten, dass möglichst viele Leute unser Angebot nutzen. Vom 100-Meter-Lauf haben wir vielleicht 20 Meter zurückgelegt.»

amarenda.ch

Text: Max Hugelshofer

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im August 2012
Die Schweizer Berghilfe leistet finanzielle Unterstützung, wenn das Geld nicht ausreicht, um ein zukunftsweisendes Projekt zu realisieren.