Neue Heimat für den «Supertony»

Die Käserei San Carlo im Val Poschiavo verarbeitet heute doppelt so viel Milch wie früher. Nun wird eine neue Käserei gebaut.

«Es wird halt ein Zweckbau, architektonisch nichts Besonderes», erklärt Gianluca Giuliani schon fast entschuldigend. Man merkt es dem Direktionsmitglied der Käsereigenossenschaft Valposchiavo an, dass er sich noch nicht ganz mit diesem Gedanken angefreundet hat. Ursprünglich war vorgesehen, dass die neue Käserei im Industriegebiet von San Carlo im Val Poschiavo auch optisch etwas hermachen soll. Doch die Finanzen machten den Genossenschaftern Kopfschmerzen. Der erste Vorschlag des Architekten war viel zu teuer, und mehrere Sparrunden standen an. Der grosse Mehrzweckraum im ersten Stock fiel ebenso dem Rotstift zum Opfer wie optische Massnahmen an der Aussenfassade. «In diesen Bereichen mussten wir Kompromisse eingehen, weil wir bei der Funktionalität und der technischen Einrichtung keine Abstriche machen wollten», sagt Giuliani. Trotz des rigiden Sparkurses reichten das Genossenschaftsvermögen, der Erlös aus dem Verkauf der bisher als Käserei benutzten Liegenschaft und die Hypothek der Bank nicht aus. Die Schweizer Berghilfe übernahm den ungedeckten Betrag und ermöglichte so, die Käserei in einer sinnvollen Grösse zu bauen. «Dafür sind wir sehr dankbar, denn das Projekt noch weiter zusammenzustreichen hätte empfindliche Einschränkungen mit sich gebracht», sagt Genossenschaftspräsident Cornelio Beti. «Und so weiterzumachen wie bisher, war schlicht unmöglich.»

Tatsächlich haben die Platzprobleme ein rationelles Arbeiten immer mehr erschwert. Für die Produktion von 100 Tonnen Käse war die Käserei aus dem Jahre 1987 nicht ausgerüstet. Obschon Käser Tony die Keller dermassen vollgestopft hatte, dass er sich darin teilweise kaum noch umdrehen konnte, musste die Genossenschaft im zwölf Kilometer entfernten Brusio weitere Lagerräume dazumieten. Die Käsepflege war also immer mit zeitraubenden Fahrten verbunden. Auch für die Qualität des Käses waren die zugemieteten Hallen, die ursprünglich für die Lagerung von Obst gebaut wurden, alles andere als ideal.

Das Projekt in Kürze

  • Käserei
  • Neubau der Käserei
  • San Carlo/GR

In der neuen Käserei werden Tony und seine beiden Hilfskäser auch ein deutlich grösseres Salzbad zur Verfügung haben als bisher. Noch ist davon allerdings wenig zu sehen. Das Gebäude steht noch im Rohbau. Aus rohen Betonwänden und -böden ragen Plastikrohre für verschiedene Leitungen, die Decke ist durch unzählige Stahlstützen gesichert. Bis zum ersten grossen Schnee, der hier auf rund 1000 Metern Höhe im Dezember erwartet wird, soll das Dach fertig sein. Im Winter und Frühling folgt der Innenausbau, und im kommenden Sommer, wenn die 16 Biobauern des Tals am wenigsten Milch liefern, wird gezügelt. Weil die beiden bisherigen Käsekessi trotz ihres Alters von 24 Jahren noch tipptopp erhalten sind, werden sie im Neubau wieder eingebaut. Dadurch kann allerdings während zweier Wochen nicht produziert werden. Eine organisatorische Herausforderung. Da die Käserei einen grossen Teil ihrer Produktion an Grossverteiler im Flachland liefert, ist Kontinuität sehr wichtig.

Es geht aber nicht alles, was in San Carlo produziert wird, über den Berninapass in die Deutschschweiz. Bei Einheimischen und Touristen gleichermassen beliebt ist der Laden an bester Lage mitten in Poschiavo. Hier kann man Milch und diverse Joghurts kaufen alle mit Milch aus dem Tal hergestellt und in Bio-Qualität. Und dann der Käse: Hartkäse, viertel-, halb- oder vollfett, Formaggella, Halbweichkäse und der Pressato, der im Alter schmeckt wie ein Grana Padano. Der Einfluss des nahen Italiens ist spürbar. Besonders, weil Käser Tony von ennet der Grenze kommt. Als er vor gut 30 Jahren in San Carlo zu käsen anfing, brachte er sein Wissen aus Italien mit und kombinierte es mit den Schweizer Traditionen im Val Poschiavo. Sein besonderer Stolz ist ein Doppelrahmkäse der «Supertony». «Alle haben mir gesagt, man könne keinen harten Doppelrahmkäse machen. Aber ich habe mich nicht von meiner Idee abbringen lassen und nebenbei immer herumexperimentiert. Nach mehreren Jahren habe ich es endlich geschafft», sagt Tony. Die neue Käserei stellt sicher, dass auch in Zukunft noch viele Laibe Supertony produziert werden können und dass die Bauern im Tal weiterhin für ihre Biomilch einen anständigen Literpreis bezahlt bekommen. Und wenn man an die Schätze denkt, die schon bald die Keller füllen werden, dann stört man sich auch nicht mehr an der unscheinbaren Hülle der Käserei.

Text: Max Hugelshofer

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im Dezember 2011
Die Schweizer Berghilfe leistet finanzielle Unterstützung, wenn das Geld nicht ausreicht, um ein zukunftsweisendes Projekt zu realisieren.