Nusstorten auf Weltreise
Reto Schmid hat in Sedrun die «wohl kleinste Nusstorte der Welt» erfunden und damit die Schweiz erobert. Jetzt ist die Welt dran.
Reto Schmid hat in Sedrun die «wohl kleinste Nusstorte der Welt» erfunden und damit die Schweiz erobert. Jetzt ist die Welt dran.
Reto Schmid hat in Sedrun die «wohl kleinste Nusstorte der Welt» erfunden und damit die Schweiz erobert. Jetzt ist die Welt dran.
Schon der erste Teil der Geschichte von Reto Schmid ist beeindruckend: Ein Bäckermeister aus dem abgelegenen Sedrun übernimmt den kränkelnden Familienbetrieb. Er erhält laufend Komplimente für seine Nusstorte, hört aber auch immer wieder, dass sie einfach zu gross sei. Er fängt an, zu experimentieren und produziert schon bald die ersten Törtchen in Portionengrösse. Mit viel Geschick, Ausdauer und auch etwas Glück schafft er es, seine Törtchen in die Regale von Grossverteilern zu bringen, die Verkaufszahlen gehen stetig aufwärts. Inzwischen wird im Schichtbetrieb produziert und der Bäcker kann immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anstellen. 2018 gewinnt er als vorläufiger Höhepunkt mit seiner Firma «La Conditoria» den von der Schweizer Berghilfe und der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete SAB ausgerichteten Prix Montagne.
Aus Backstube wird Fabrik
Drei Jahre später, ein Besuch in Sedrun, zuhinterst in der Surselva. Auf den ersten Blick ist klar: Die Erfolgsgeschichte geht weiter. Seit einem knappen Jahr fertigt Reto Schmid die berühmten Törtchen – die es inzwischen in verschiedensten Varianten gibt – nicht mehr in der engen Backstube hinter dem Café Dulezi. Denn Reto hat gleich gegenüber, auf der anderen Seite der Oberalp-Passstrasse, eine neue Produktionsanlage gebaut. Der Unterschied ist riesig. Vorher konnte erst produziert werden, nachdem die Mitarbeiter morgens alle Geräte beiseitegeräumt hatten, die in der Nacht zur Produktion von Brot, Gipfeli und Guezli genutzt wurden. Alles war eng, alt, provisorisch und entsprechend ineffizient. Im neuen Gebäude wähnt man sich hingegen eher in einer Hightech-Fabrik. Alles ist aufgeräumt, die Maschinen glänzen neu, Platz ist mehr als genug vorhanden. Ein Mitarbeiter kippt einen riesigen Berg Teig aus einer Knetmaschine, daneben brodelt in einem riesigen Topf halbfertige Caramelmasse. Kurz zuvor hatte Produktionsleiter Agostinho Oliveira mehrere 25-Kilo-Säcke Zucker hineingeschüttet, bald folgt eimerweise Milch.
Daneben steht das Herzstück der Produktion: Eine Maschine, die so geheim ist, dass sie auf keinem Foto abgebildet sein darf. Oben kommen in separaten Trichtern Teig und Füllung rein, unten spuckt ein Förderband die fast fertigen Törtli aus. In einem beeindruckenden Tempo. 18’000 Stück pro Stunde. Auf ihrer weiteren Reise auf dem Förderband werden die Törtli mit Eigelb besprüht, danach schön säuberlich auf Bleche abgelegt. In einen der drei Öfen werden sie noch von Hand geschoben. Fertig gebacken kommen sie wieder auf ein Förderband, werden sortiert und automatisch verpackt.
«Ich könnte den Maschinen immer noch stundenlang zuschauen», sagt Reto. «Mein Traum ist endlich Wirklichkeit geworden.» Er sagt aber auch: «Der Bau der neuen Produktion war ein riesiger Schritt. Ich habe alles auf eine Karte gesetzt.» Es sei ihm nichts anderes übriggeblieben. So weitermachen wie zuvor war keine Option. Zu zeitraubend, zu kompliziert waren die Arbeitsabläufe. Und vor allem: «Wir liefen voll am Anschlag, ich konnte gar keine neuen Aufträge mehr annehmen.» Das muss das Schlimmste gewesen sein für einen wie Reto Schmid, der ständig am Weibeln ist, immer neue Produkte entwickelt, immer in Kontakt ist mit Kunden, immer neue Märkte im Auge hat und neue Chancen sieht.
Nach langen Jahren der Vorbereitung und Planung scheiterte der Neubau fast an der Finanzierung. Die Banken waren sehr zurückhaltend. Sie hätten mehr Kredit gegeben, wenn er in Chur oder Landquart gebaut hätte. Doch das kam für Reto nicht in Frage. Sein Dorf und das Tal liegen ihm am Herzen, und er ist stolz darauf, inzwischen rund 40 Arbeitsplätze geschaffen zu haben. Teils solche, die es bisher in der ganzen Surselva nicht gab. So konnte er für die Qualitätskontrolle kürzlich eine Lebensmittelingenieurin aus dem Tal anstellen. Bisher musste diese zum Arbeiten in den Kanton Zürich pendeln. Mit seiner Einstellung teilt Reto genau die Ziele der Schweizer Berghilfe, deren Stiftungszweck belebte Berggebiete sind. Mit seiner unternehmerischen Art und seinem eindrücklichen Leistungsausweis konnte Reto die ehrenamtlichen Experten der Stiftung überzeugen, die daraufhin den noch fehlenden Betrag übernahm.
Alles schien perfekt zu sein – doch dann kam Corona. Während des ersten Lockdowns befand sich die Fabrik im Rohbau, die Arbeiten stockten, gleichzeitig regneten es von allen Seiten Auftragsstornierungen. «Damals hatte ich mehr als nur eine schlaflose Nacht», so Reto. Doch auch diese Krise konnte den Aufstieg von «La Conditoria» nicht bremsen. Die Nachfrage zog schnell wieder an, die neue Produktion eröffnete viele Möglichkeiten. Reto richtete eine Schokoladen-Produktionsstrasse ein und konnte mehrere neue, innovative Produkte etablieren. «Wir sind klein genug, um flexibel zu bleiben und auf Kundenwünsche einzugehen, aber auch gross genug, um die nötigen Mengen für Grossverteiler herstellen zu können», erklärt Reto das Erfolgsrezept. Ein anschauliches Beispiel sind die Osterhasen. Mehr als 150 000 Stück wurden dieses Jahr in Sedrun hergestellt.
Und auch bei den Törtchen zeigt die Verkaufskurve weiterhin nach oben. Kürzlich schickten Retos Mitarbeiter den ersten randvoll mit Nusstörtli beladenen Schiffscontainer auf den Weg nach Südkorea. Weitere Container werden folgen. Und weitere exotische Märkte.