Raclettekäse statt gefährliche Talfahrten

Nach über 30 Jahren ändert sich alles für die Familie Quartenoud auf der Alp Anzeindaz oberhalb von Bex: Statt die Milch über einen gefährliche Kiesstrasse hinunter bringen zu müssen, können sie käsen.

Drei Augenpaare schauen gebannt auf den kleinen Wasserhahn der mobilen Maschine, die den Käselaib schmiert. Der Alpmitarbeiter Thomas Lavanchy öffnet ihn etwas, richtet den Strahl anders aus, Joe und Isabelle Quartenoud beobachten seine Handgriffe gebannt. Es ist Mitte Juni. Erst eine Woche sind die drei plus ein Zivildienstleistender auf der Alp Anzeindaz hier oben auf 1800 M. ü. Meer, und erst seit dieser Woche produzieren sie aus täglich rund 500 Litern Kuhmilch Käse. Ein Novum für diese Alp. Sie gehört zusammen mit vier anderen der Alpgenossenschaft Bex. Joe und Isabelle Quartenoud sömmerten 32 Jahre lang rund 400 Rinder der Genossenschaftsmitglieder sowie ihre eigenen Milchkühe und Ziegen hier. Ihre drei Kinder wuchsen auf der weitläufigen Alp auf. «Heute, als Erwachsene, sagen sie uns, dass sie uns lieber nicht besuchen. Weil sie dann nicht mehr wegwollen würden. Sie lieben die Alp einfach zu sehr», sagt Isabelle.

Das Projekt in Kürze

  • Alpbetrieb
  • Neue Käserei
  • Anzeindaz/VD

Enorm viel Handarbeit

Doch einfach war das Leben auf der Alp nie. In den drei Ställen gab es bis letztes Jahr keine Rohrmelkanlage. Das bedeutete enorm viel Handarbeit. So mussten die Quartenouds die Milch jeder Kuh zum Anhänger tragen, dort hochheben und in den Anhänger giessen. Mit der Milch der rund 25 Kühe fuhren die Älpler jeden zweiten Tag zur Milchsammelstelle ins Tal – auf einer gefährliche Kiesstrasse entlang der steilen Hänge des Diablerets-Massivs. Viel loses Gestein, oft als kühlschrankgrossen Brocken, liegt oberhalb der Strasse in den Runsen. Darin sammeln sich bei grösseren Gewittern Sturzbäche, die alles mit sich reissen. Auch die Strasse. Immer wieder. So entschied das Wetter bisweilen, ob die Milch rechtzeitig hinunterkam und ob es für die Arbeit von zwei Tagen Lohn gab oder nicht.

Die Unterstützung

Die Alpgenossenschaft Bex entschloss sich, eine alte Hütte zu einer Käserei umzubauen. Aber ganz reichten die eigenen Mittel nicht aus, die Unterstützung der Berghilfe schloss die Lücke.

Unabhängiger vom Wetter

Doch an diesem Morgen ist den dreien das Wetter herzlich egal. Im blank geputzten, neuen Käsekeller steuern Kühlelemente die Temperatur und Feuchtigkeit. Die ersten, noch jungen Raclettekäse liegen verheissungsvoll in den Regalen. Thomas schmiert einen Laib nach dem anderen, zusammen diskutieren sie über die richtigen Einstellungen der Maschine. Dann wechseln sie durch eine Tür direkt die Käserei, wo die neue Produktion läuft. Schon fast routiniert öffnet Joe die Türen des grossen Ofens. Über dem Feuer hängt der neue Kupferkessel mit etwa 460 Litern Milch. Kräftig zieht Joe am Schwenkarm und bewegt den Kessel weg vom Feuer. Der 53-Jährige ist kein Neuling im Käsen. Er hat auf einem Gaskocher jahrelang welchen aus der Milch seiner Ziegen produziert, den er selbst vermarktete. Doch statt 40 Liter sind es nun rund 500 Liter, die es zu verarbeiten gilt. Joe hat deswegen vor dieser Alpsaison mehrere Praktikas als Alpkäser absolviert. Und doch sagt er: «Es ist alles neu hier, das ist schon ein bisschen aufregend. Dafür werden wir dreimal so viel an einem Liter Kuhmilch verdienen wie vorher». Dann muss es schnell gehen: die Ziegen- und die Kuhmilch haben gleichzeitig die richtige Temperatur erreicht. Zum Glück sind sie zu dritt. Während Isabelle die Ziegenmilch bricht, bearbeiten Thomas und Joe die Kuhmilchmasse. Es geht Hand in Hand, als hätten sie es immer schon so getan. Nur beim Aufräumen gibt es da und dort Fragen, noch hat nicht jede Kelle und jede Käseform ihren festen Platz gefunden. «Es sieht gerade nach viel Arbeit aus», sagt Isabelle lachend, «aber für mich ist es ein Riesenunterschied. Jetzt, wo die gemolkene Milch direkt durch Rohre in die Käserei fliesst, sind wir sehr viel schneller. Früher hätte ich mich – kaum fertig mit dem Melken – um die Kinder kümmern müssen, sie hinunter zur Schule bringen, kochen und putzen müssen und dann wäre schon wieder Abend gewesen und es wäre von vorne losgegangen mit dem Melken. Und manchmal hätte ich kochen und melken gleichzeitig müssen. Das ist jetzt zum Glück vorbei.»

Text und Bilder: Alexandra Rozkosny

Erschienen im August 2025

Kein Abwasch bei Gewitter

Das Alpleben kann sehr spannend sein – auch im wörtlichen Sinn. So zum Beispiel auf der Alp Anzeinda im Kanton Freiburg. Dort gibt es erst seit wenigen Jahren Blitzableiter auf der Alphütte. Die rund 25 Jahre davor lebte die Älplerfamilie quasi ungeschützt. Mit dramatischen Folgen: Einmal erwischte der Blitzschlag die Tochter unter der Dusche, das andere Mal schleuderte es die Älplerin beim Abwasch durch die Küche. Zum Glück blieben beide Unfälle ohne Folgen. Aber seither war allen klar: Bei Gewitter wird weder geduscht noch abgewaschen und auch kein Metall angefasst. Stattdessen hiess es: Gemütlich zusammensitzen, entspannen und abwarten.

Die Schweizer Berghilfe leistet finanzielle Unterstützung, wenn das Geld nicht ausreicht, um ein zukunftsweisendes Projekt zu realisieren.