Revolution im Unterengadin

Im Unterengadin druckte ein engagierter Verleger vor fast 350 Jahren die erste Bibel in romanischer Sprache. Was das mit dem Internet zu tun hat, und warum es eine Revolution war – das erfährt man bei einem Besuch im Buchdruckmuseum Stamparia.

Klingt ein bisschen verstaubt und irgendwie langweilig: Buchdruck. Und dann noch Museum. Es wirkt auch unscheinbar von aussen, das Buchdruckmuseum «Stamparia» in Strada im Unterengadin, untergebracht in einem alten Engadinerhaus mitten im Dorf. Doch wer bis hierher reist, wird mit mindestens einem Aha-Erlebnis belohnt.


Zehn Jahre, um 2000 Bibeln zu produzieren

«Fünf Jahre brauchten die Pfarrer Jacob Anton Vulpius und Jacob Dorta, um das alte und neue Testament aus dem Hebräischen und Griechischen ins Romanische zu übersetzen. Und dann dauerte es nochmals fünf Jahre, um es zu drucken», erklärt Georg Häfner, Leiter des Museums bis Ende 2021. 1679 war es so weit: Die Unterengadiner konnten eines von 2000 Exemplaren der «Bibla da Scuol» für den Hausgebrauch kaufen. Und auch wenn ein Exemplar fast den Wert einer Kuh betrug: Die Auflage war rasch ausverkauft. Und damit begann eine kleine Revolution. Nicht nur gewann die Reformation stark an Boden. Nein. Nun war jeder Pfarrer überprüfbar. Jeder und jede konnte zu Hause nachlesen, ob der Geistliche sich an die Texte hielt. Man konnte mit ihm über die Inhalte diskutieren. Man konnte überhaupt lesen lernen. Meist war die Bibel das erste und oft auch das einzige Buch im Haus.

Das Projekt in Kürze

  • Buchdruckmuseum
  • Mäusesicheres Buchregal
  • Strada/GR


Buchdruck war Knochenarbeit

Den Grundstein für den Buchdruck hatte Johannes Gutenberg etwa 200 Jahre früher gelegt. Aber erst die Übersetzungen von Originaltexten in lokale Sprachen machte Wissen auch für ärmere Schichten zugänglich.Damit das möglich wurde, brauchte es harte Arbeit. Es gab lange keine Papierfabriken, Farbwerke, Buchbindereien. Alles mussten die Drucker selbst herstellen können. So auch Nuot Cla Janett. Er war als Drucker in Scuol an der Bibla da Scuol beteiligt gewesen. 1679 machte er sich selbständig, zunächst in Tschlin, dann in Strada. Zwar kaufte er das Papier in Scuol ein, dann reihte er von Hand Buchstaben an Buchstaben in den Setzrahmen. Seite für Seite. Die Druckfarbe wurde angemischt. Jede Seite wurde einzeln in die Druckpresse gelegt und gedruckt. Die fertigen Seiten band man in einer separaten Werkstatt. Leder, Holz, Leinen und manchmal auch Blattgold brauchte es. So wurden fast 200 Jahre lang in Strada Bücher für die Region gedruckt.

Sonderausstellung - Druckmaschinen selbst ausprobieren

Erfindungen verändern die Kommunikation. Das Druckmuseum Stamparia macht dies in der Sonderausstellung erlebbar. Wie im Mittelalter können die Besucher mit dem Gänsekiel schreiben oder selber Buchstaben setzen und drucken. Dies ist Teil einer gemeinsamen Aktion von zehn Bündner Museen. In diesen können die Besucher seit Frühling 2022 auf spielerische Weise das Mittelalter erkunden.
Stamparia Sonderausstellung 2022

​Ohne Blei und Papier wohl kein Internet

Eine Erleichterung brachte ein schreibmaschinenähnlicher Apparat, Linotype-Setzmaschine genannt. Eine riesige Maschine, bei dem man jeweils eine Zeile auf den Tasten eintippte. «Die Maschine schmolz dann das benötigte Blei und goss die Zeile fertig aus», sagt Georg Häfner. Sie und viele andere Geräte darf man im Museum auch berühren, bei Führungen sogar selber ausprobieren.

Mit dem Buchdruck durchdrang eine neue Idee in die Gesellschaft: Dass nämlich das Lesen und Schreiben – also Wissen zu vermitteln – ein Recht aller war. Damit war der Grundstein gelegt für die Idee des Internets, wie wir es heute auch kennen: Als Ort, an dem viele ihr Wissen niederschreiben, um es anderen zugänglich zu machen.

Text: Alexandra Rozkosny

Bilder: Yannick Andrea/Alexandra Rozkosny

Erschienen im April 2021

Die Unterstützung der Berghilfe

​Das Museum selbst wurde 1998 eröffnet, nachdem das Gebäude renoviert und an die Bedürfnisse eines Museumsbetriebes angepasst worden war. Trotzdem fanden Mäuse im Winter einfach Zugang. Das bedrohte die alten, wertvollen Drucke. Mit Unterstützung der Schweizer Berghilfe konnte die Museums-Stiftung eine mäusesichere Bücherwand einrichten. So kann sie weiterhin uralte Bücher – darunter auch ein Exemplar der ersten romanischen Bibel – aufbewahren und zeigen.
Die Schweizer Berghilfe leistet finanzielle Unterstützung, wenn das Geld nicht ausreicht, um ein zukunftsweisendes Projekt zu realisieren.