Vom Himmel an den Rücken

Ausgediente Gleitschirme müssen jetzt nicht mehr weggeworfen werden. In Saas Fee machen zwei Outdoorfans daraus hochwertige Tourenrucksäcke. Und schaffen so im vom Tourismus geprägten Ort begehrte Zwischensaison-Jobs.

Der grosse Arbeitstisch ist vollständig begraben unter einem blau-gelben Gleitschirm. Daneben quillt es blau, grün, lila und pink aus verschiedenen Säcken und Kisten. Inmitten dieses kunterbunten Chaos stehen – mit Schere und Schnittmuster bewaffnet – Janine Häberle und Ivan Ilijewski. Es ist Produktionstag bei der jungen Firma «Schwarzberg – Adventure Equipment».

Angefangen hat alles auf einer Skitour. Janine, die ihre Karriere in der Textilindustrie aufgegeben hatte, um z’Alp zu gehen und in den Bergen leben zu können, traf den Bergführer, Kitesurfer, Gleitschirmflieger und Weltenbummler Ivan. Der erzählte ihr von seiner Idee, aus seinen ausgemusterten Kites und Gleitschirmen einen Rucksack herzustellen. Der Stoff wäre bestens geeignet: extrem leicht aber dennoch reissfest. Leider habe er noch keine Firma gefunden, die ihm einen solchen Rucksack herstellen würde. «Also ich könnte das schon», war Janines Antwort, und bereits wenige Wochen später konnte sich Ivan den ersten Prototypen auf den Rücken schnallen.

Drei weitere Prototypen später startete Janine im Arbeitszimmer ihrer Wohnung mitten in Saas Fee die erste kleine Serienproduktion. Heute kann man über die Website der jungen Firma bereits zwei verschiedene Rucksackmodelle und eine Hüfttasche bestellen. Alles von Hand hergestellt in Saas Fee.

Das Projekt in Kürze

  • Atelier
  • Nähmaschine und weitere Anschaffungen
  • Saas Fee/VS

Langsam wachsen

Die Arbeitsaufteilung zwischen den beiden Gründern ist klar: Janine ist für die Produktentwicklung und die Produktion zuständig, Ivan für Marketing, Website und Vertrieb – und natürlich für den Nachschub an Kites und Gleitschirmen. Er kennt so viele Sportler, die froh sind, ihre alte Ausrüstung nicht einfach wegwerfen zu müssen, dass die Produktion für längere Zeit gesichert ist. Vor allem, weil die Firma langsam wachsen soll. So, dass nie aufs Mal grosse Investitionen nötig werden und dass Janine das Nähen vorerst alleine bewältigen kann. Mittelfristig möchte sie von der Firma leben können. «Für Ivan reicht ein Teilzeitverdienst, der wird sowieso nie auf seinen Hauptjob mit all dem Herumreisen, Kiten, Bergsteigen und Tourenfahren verzichten können», lacht sie.

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Produktion nur in der Zwischensaison

Fest eingeplant ist hingegen, schon bald eine oder zwei Saisonstellen für Leute aus dem Dorf anbieten zu können. Das heisst, eigentlich eher Nebensaison-Stellen. «Hier gibt es im Sommer und im Winter mehr als genug Arbeit, im Frühling und im Herbst jedoch fast nichts», erklärt Janine. Deshalb ist auch später geplant, nur in der Zwischensaison zu produzieren. Und immer in Saas Fee. Denn Janine und Ivan ist es wichtig, ihrer Wahlheimat etwas zurückzugeben. Ge-nauso wichtig ist ihnen als Outdoorfans die Um-welt. Darum begnügen sie sich nicht damit, einfach den Stoff der alten Gleitschirme zu ver-wenden. Bänder knüpft Janine aus Schnüren, die ebenfalls von Gleitschirmen stammen. Und sollte einmal etwas kaputt gehen, bietet Janine auch einen Reparaturservice an. Janines persönlicher Rucksack hat im vergangenen Sommer seine Feuertaufe überstanden. Einen ganzen Alpsom-mer lang trug sie ihn jeden Tag, bei jedem Wetter, bei allen möglichen Tätigkeiten. Ohne Schaden blieb übrigens auch der Rucksack, den Janine extra für ihren Hirtenhund Roy ange-fertigt hatte. «Das wird das nächste Produkt, das wir fix ins Sortiment aufnehmen.»

schwarzberg-equipment.ch

Text: Max Hugelshofer

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im Februar 2022

Die Unterstützung

Janine Häberle und Ivan Ilijewski leben beide sehr bescheiden und bewusst ohne viel Eigentum. Auch ihre Firma soll ohne grosse Anfangsinvestitionen auskommen. Einige Anschaffungen wie eine zweite Nähmaschine oder eine gute Kamera für Produktfotos waren jedoch unerlässlich. Um diese zu ermöglichen, sprang die Berghilfe mit einem kleinen Betrag ein. Möchten auch Sie unterstützen?
Was Sie tun können

Kurzinterview mit Peter Pfister, Architekt aus Baar

Sie haben «Schwarzberg – Adventure Equipment» ihren alten Gleitschirm überlassen und gleich alle 15 Tourenrucksäcke, die daraus entstanden, gekauft. Wie kommt man auf sowas?

Wegen einer Schulterverletzung musste ich das Gleitschirmfliegen aufgeben. Ich finde es super, wenn mein geliebter Schirm auf diese Weise nicht einfach im Keller verstaubt, sondern neues Leben eingehaucht bekommt.

Und was machen Sie mit 15 Rucksäcken?

Meine Frau und ich verschenken sie an unsere Kinder und Enkel. Ich hoffe, dass etwas Abenteuergeist im Stoff hängengeblieben ist und die nachfolgenden Generationen mit den Rucksäcken ebenso viele eindrückliche Abenteuer erleben können wie ich zuvor mit dem Gleitschirm.

 Aus Peter Pfisters altem Gleitschirm sind 15 Rucksäcke entstanden.
Aus Peter Pfisters altem Gleitschirm sind 15 Rucksäcke entstanden.
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