Von Yaks und Fröschen
Mitten im Urner Göscheneralp-Tal steht am Strassenrand ein leuchtend roter Hinweis auf ein Gasthaus. Wer ihm folgt, bekommt nicht nur überraschende Köstlichkeiten, sondern auch einen herzlichen Empfang.
Mitten im Urner Göscheneralp-Tal steht am Strassenrand ein leuchtend roter Hinweis auf ein Gasthaus. Wer ihm folgt, bekommt nicht nur überraschende Köstlichkeiten, sondern auch einen herzlichen Empfang.
Zwei Hände tauchen ins gehackte Fleisch, kräftige Finger kneten die Masse. Seraina Wicky bereitet ihre Spezialität vor: Göschener Yak-Burger. Das Fleisch dieser Tiere hätte es zu Zeiten des Vorbesitzers nie gegeben. Dann noch eher Frösche – direkt von der Göscheneralp.
Seit 2016 wirtet Seraina jeweils Sommers im Gasthaus Göscheneralp zusammen mit einem zehnköpfigen Team. Sie konnte das Gasthaus im Herbst 2015 erwerben. Damit war für die gebürtige Altdorferin und gelernte Köchin ein Traum in Erfüllung gegangen. Knapp 23-jährig hatte sie sich ins Abenteuer gestürzt. Nach dem Kauf sanierte sie das Gebäude Stück für Stück mit viel Herzblut, tatkräftiger Unterstützung ihres Mannes und Freunden und mit etwas Erspartem. Die ganze Küche und die Geräte der Waschküche mussten erneuert werden. Ebenso Teile der Einrichtung in der Gaststube und den Zimmern. Ihr Ziel: Ein gemütliches, einfaches Gasthaus schaffen für Wanderer, Kletterinnen, Durchreisende und Talbewohner.
All das geschah unter den aufmerksamen Augen des Vorbesitzers Koni Mattli, der gleich daneben wohnt. Inzwischen 89-jährig, besucht er Seraina regelmässig, und hält weder mit Kritik noch Lob zurück. Diesen Austausch schätzen beide sehr. «Als Köchin lernte ich von Koni viel. Zum Beispiel beim Hirschpfeffer. Als Koni meinen ersten Pfeffer ass, war er entsetzt. Keine Knochen! Kein Fett!», lacht sie bei der Erinnerung. Das sei früher ganz anders gewesen, hatte ihr Koni gesagt und «eine Riesendiskussion» mit ihr geführt. «Oder bei der Rösti: Am Anfang haben wir die Kartoffeln geschält. Das verstand Koni überhaupt nicht. So etwas Wertvolles wie die Schalen wegwerfen? Inzwischen schälen wir sie auch nicht mehr. Möglichst wenig Abfall zu produzieren, soviel vom Tier wie möglich zu verwerten, darin haben mich die Gespräche mit Koni bestärkt». Darum ist auf der Speisekarte auch selten ein Filet im Angebot, Burger gibt es dafür fast immer.
In Serainas Küche gelangen möglichst auch nur Waren aus der Region: Die Yaks sind aus Göschenen, Eier, Käse, Heidelbeeren und Kräuter von der Göscheneralp, ebenso die von Jägern erlegten Gämsen und ein Hirsch. Nur das Gemüse, das kommt zum grossen Teil aus der ganzen Schweiz. «Ich will mit dem, was hier herum wächst, was machen», bekräftigt sie. So wie es die Bewohner auf der Göscheneralp schon früher getan hatten. Nur war damals anderes in Mode. Koni Mattli erinnert sich, dass er eimerweise Heidelbeeren verkaufte im Sommer. Und eben Frösche. Lebende Frösche wurden häufig in der Medizin eingesetzt. 250 Frösche fürs Kantonsspital in Altdorf – so rechnete Koni vor – ergaben eine neue Hose. Ein wertvolles Zubrot. So wertvoll, dass die Bewohner der Göscheneralp den Laichplätzen das ganze Jahr durch Sorge trugen.
Heute schaut Seraina «ihren» Yaks. Jeweils im November geht sie mit dem Yakbauer Sepp Zgraggen auf die Weide. Sie wählt die Tiere aus, und ist dabei, wenn sie der Metzger im Beisein des Tierarztes auf der Weide erlegt. «Beim Yak geht das sowieso nicht anders. Würdest du es in die Metzg bringen, hat es Stress und das Fleisch würde zäh. Auch die Filets kannst du dann nur noch durch den Fleischwolf drehen», sagt sie und fügt an: «Die Weidenschlachtung ist aufwändig. Aber das ist mir eigentlich lieber. Ich will wissen, dass das Tier ein gutes Leben hatte und sicherstellen, dass es auch angstfrei stirbt.»
Dass es bei Seraina nicht nur bodenständig gutes Essen gibt, sondern auch eine herzliche, unaufdringliche Willkommenskultur, das hat sich herumgesprochen. «Wie war die Anreise?», «Wo kommt ihr her?». Das Team nimmt sich Zeit – was die Gäste schätzen. So sehr, dass Geschäftsreisende den 15-minütigen Umweg gern unter die Räder nehmen und lieber hier schlafen als in einem unpersönlichen Hotel. Und neben Klettererinnen, Familien und Senioren trifft man immer öfters auf Gäste aus dem noblen Hotel Chedi in Andermatt. Die kommen extra für ein Mittagessen hierher, nur um ein Stück authentischer Schweiz zu erleben.