Wärme aus dem eigenen Wald

Mit seinem Holz heizt Bergbauer Adrian Fahrni nicht nur sein eigenen Haus. Über ein Fernwärmenetz versorgt er weitere Gebäude im Dorf mit Energie.

Eigentlich brauchte Adrian Fahrni nur dringend eine neue Heizung für sein altes Bauernhaus. Heute liefert er Wärme an 13 weitere Gebäude. Aus der Not hat der innovative Bergbauer eine Geschäftsidee entwickelt, die zu einem wichtigen Standbein geworden ist.

Die Motorsäge verstummt. Ein Knarren. Dann fällt die Buche mit lautem Knirschen um – und bleibt in der Krone eines anderen Baumes hängen. Adrian «Ädu» Fahrni springt aus dem Traktor raus, mit dessen Seilwinde er die Buche daran gehindert hat, talwärts zu fallen. Läuft die paar Schritte zur Krete. «Was isch?», ruft er den steilen Abhang hinunter. «Blöd isch», tönt es zurück.

Im Winter verbringt Ädu einen grossen Teil seiner Zeit im Wald. Beim Holzen hilft ihm oft sein Freund Fippu, mit dem er früher bei einem Tiefbauunternehmen zusammengearbeitet hat. Manchmal greift auch sein Bruder zur Motorsäge. Früher haben die teils an steilen Hängen gelegenen Wälder der Familie Fahrni viel Arbeit, aber kaum Ertrag eingebracht. «Ich kann vielleicht ein Viertel des geschlagenen Holzes als Bauholz verkaufen», so Ädu. Der Rest blieb früher weitgehend ungenutzt. Seit 2011 ist das anders. Denn damals konnte Ädu nach langer Planung endlich seine Holzschnitzelheizung in Betrieb nehmen.

«Typisch, immer wenn jemand zuschaut, läuft alles schief», knurrt Ädu. Am liebsten würde er die Buche einfach hängen lassen, wo sie ist. Aber das geht natürlich nicht. Viel zu gefährlich. Und ausserdem sieht er jetzt, nachdem er mit einer Hand am Stahlseil den verschneiten Steilhang hinuntergeklettert ist, dass der Stamm der Buche von bester Qualität ist. Darauf will er nicht verzichten.

Es war im Jahr 2008, als Ädu mit seiner Frau Anne den Betrieb übernahm, den sein Vater zuvor gemeinsam mit Ädus Onkel geführt hat. Eine Sanierung des alten Bauernhauses war unumgänglich. Auch eine neue Heizung musste her. Dass es eine Holzheizung sein sollte, war von Anfang an klar. Aber was für eine?

Das Projekt in Kürze

  • Bergbauernfamilie
  • Bau einer Fernwärmeanlage
  • Unterlangenegg/BE

Grosses Interesse aus der Nachbarschaft

Bald fing Ädu an, mit einer Schnitzelheizung zu liebäugeln. Da könnte man gleich auch das Stöckli anhängen. Ädu erzählte in der Nachbarschaft von seiner Idee, und kurz darauf fragte die Kirche von vis-à-vis an, ob man deren Gebäude nicht auch an die neue Schnitzelheizung anhängen könnte. Klar, das würde die hohen Investitionen eher rechtfertigen, dachte Ädu und machte sich ans Planen. Noch während er über Prospekten brütete und Pläne zeichnete, kamen weitere Interessenten dazu. Einfamilienhäuser, die ehemalige Käserei, die nun einen Dorfladen beherbergt. Ädu fing an, in der Holzschnitzelanlage nicht nur eine Lösung für sein Heizungsproblem zu sehen, sondern eine Verdienstmöglichkeit.

Der Baum hängt fest. Nach oben bringt man ihn nie. Also muss er nach unten aus dem Hang raus. Zu Fuss eine Sache von einer Minute klettern. Mit dem Traktor und der Seilwinde heisst es aber, zur Überlandstrasse tuckern, die ins Tobel runter führt, von dort aus über Felder dem Bach nach bis zur Stelle unterhalb der festgesessenen Buche. Mit dem Stahlseil der Winde in der Hand geht es quer über den Bach. Der ist tiefer als gedacht, das eiskalte Wasser läuft von oben in die wasserdichten Bergschuhe rein.

Drei Jahre nach der ersten Idee war es soweit: Ädu konnte ein erstes Mal einheizen. In der Zwischenzeit hatte er viel gebaut. Einen Schopf für die ganze Anlage, samt Unterstand für das Holzschnitzellager. Und natürlich viele Leitungen. Denn es sind laufend neue Abnehmer dazugekommen. Weitere Einfamilienhäuser, das Gemeindehaus. Das Projekt wurde immer grösser, damit potenziell rentabler. Aber auch die Investitionen wurden immer höher. Obschon Ädu als ehemaliger Maschinist und Baggerführer alle Leitungsarbeiten selbst machen konnte, kam er finanziell an die Grenzen. Die junge Familie verschuldete sich, soweit es die Banken zuliessen, steckte das gesamte Ersparte in das Projekt. Aber es reichte trotzdem nicht. Erst als die Schweizer Berghilfe ihre Unterstützung zusagte, konnten sie aufatmen. Ädu: «Ich bin extrem dankbar für diese Hilfe. Ich weiss nicht, wie es sonst weitergegangen wäre.»

CO2-neutral und umweltfreundlich

Bis der Stamm endlich dort ist, wo er sein soll, vergeht der ganze Vormittag. Auch Fippus Füsse werden eingeweicht, die Kupplung der Seilwinde leidet, weil derart viel Kraft nötig ist, den Stamm vom Wurzelstock zu reissen. Doch die beiden schaffen es. Und ihre gute Laune lassen sie sich trotz einiger Rückschläge nicht vermiesen. «Klar, normalerweise hätten wir in dieser Zeit ein Dutzend Bäume gefällt und entastet», sagt Ädu. «Doch beim Holzen gehört es dazu, dass mal etwas nicht rund läuft. Da darf man sich nicht aufregen.»

Im Gegensatz zum Holzen bedeutet der Betrieb der Schnitzelheizung wenig Arbeit. Ädu muss dafür sorgen, dass die Schnitzelberge schön gleichmässig abgebaut werden und wieder nachwachsen. Alle paar Wochen muss der Aschebehälter geleert werden. Das warʼs. Am Anfang verbrachte Ädu deutlich mehr Zeit im Heizungsschopf. «Die Technik ist sehrausgeklügelt. Bis du da richtig drauskommst, dauert es eine Weile.» Nächtelang sass er vor dem Touchscreen, spielte mit Belüftung, Zufuhrmenge und Verbrennungstemperatur, um einen möglichst hohen Wirkungsgrad zu erzielen. Verkompliziert wird die Sache durch den Umstand, dass Ädu ganz bewusst auch minderwertiges Holz verbrennt. Etwa von Gebüschen und Bäumen an den Strassenrändern, welche die Männer vom Strassenunterhalt bei ihm abliefern. «So kann ich ausschliesslich mit Holz aus der Umgebung heizen», sagt der 36-Jährige. «CO2-neutral und umweltfreundlich.»

Der Tag im Wald hat doch noch ein er-freuliches Ende genommen. Sobald die Problem-Buche erst einmal erledigt war, ging es ruckzuck weiter. Die Ausbeute des Tages steht nun am Waldrand. Eine kleine, säuberlich aufgeschichtete Beige Stämme, die man als Bauholz nutzen kann, und ein grosser, etwas unordentlicherer Berg Holz, der später direkt hier im Wald zu Schnitzeln verarbeitet wird. Früher wäre es Abfall gewesen, heute ist es ein wertvoller Rohstoff.

Text: Max Hugelshofer

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im November 2015