«Wir machen ausschliesslich gefährliche Sachen»

Im Naturpark Pfyn-Finges hat Jennifer Skolovsky rund um ein altes Bauernhofgebäude erfolgreich eine Naturspielgruppe etabliert. Diese ist Teil eines grossen, zweisprachigen Angebotes, dem Treffpunkt Tschüdanga.

«Ich habe öfters erlebt, dass Kleinkinder auf unserem grasigen, unebenen Boden nicht laufen können. Wo soll ein Kind das zwischen Wohnblöcken lernen? Sogar hier im Wallis, wo man die Natur vor der Nase hat, ist es nicht mehr selbstverständlich, dass die Kinder rauskommen. Darum habe ich vor fünf Jahren die Naturspielgruppe Tschüdanga hier im Pfynwald gegründet. Jeweils drei bis neun Vorschulkinder sind bis zu einem ganzen Tag bei uns, immer draussen. Der Ablauf folgt einem festen Ritual. Vom Verabschieden von den Eltern bei der Brücke, über das Ankommen vor dem Haus, dem Spiel um das Weidenhaus bis zum Ausflug zum Waldsofa beim Fluss setzen die beiden Betreuungspersonen einen festen, vertrauten Rahmen. Das gibt den Kindern den nötigen Halt, um sich mit der Umgebung auseinanderzusetzen.

Wir halten Pferde, Ponys, Ziegen und Hühner. Ausser den Pferden laufen alle Tiere frei auf dem Gelände herum. So lernen die Kinder zu erkennen, wann ein Tier Nähe will und wann es in Ruhe gelassen werden möchte. Mit «wir» meine ich unser 20-köpfiges Team, welches ganz unterschiedliche Angebote umsetzt. Die Naturspielgruppe ist eines davon. Andere Angebote sind der Gemeinschaftsgarten, eine Zirkuswoche, Künstler-Residenzen und vieles mehr. Alles wird zweisprachig geführt und zielt auf die Sensibilisierung, auf den Kontakt zur Natur, auf das Wecken aller Sinne. Ich bin ausgebildete Pädagogin mit einer Masterausbildung in Bewegungstheater und leite den Betrieb. Die Mitarbeitenden bringen professionelle Grundlagen mit. Dennoch bilden wir jede Betreuungsperson wegen der hier eigenen Bedingungen zusätzlich aus. Das ist absolut zwingend. Denn wir machen ja ausschliesslich «gefährliche» Sachen. Die frei laufenden Tiere sind ein Risiko, der nahe Fluss ist ein Risiko, ein herunterfallender Ast ist ein Risiko … sogar die Brennnesseln an den Rändern der Spielwiese sind eines. Neulich fragte eine Mutter, ob wir diese gefährlichen Pflanzen nicht schneiden wollen. Da musste ich lachen. Die Idee unserer Naturspielgruppe ist ja, dass die Kinder ganzheitliche Erfahrungen machen können: dass eine Brennnessel brennt, aber dass man sie sogar essen kann. Wir zeigen den Kindern, wie man die Pflanzen gefahrlos pflückt. Dann kochen wir sie zusammen und es gibt daraus einen Powersnack. Es sind solche Erlebnisse, die den Kindern einen starken Bezug zur Natur geben. Und Selbstsicherheit.

Das Projekt in Kürze

  • Naturspielgruppe
  • Neuer gedeckter Ruheplatz
  • Salgesch /VS

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Tierliebe trotz Allergie

Den Grundstein für meine Naturverbundenheit hat wohl meine Mutter gelegt. Aufgewachsen bin ich in Leukerbad mit drei Schwestern und vielen Tieren. Meine Mutter liebt Tiere über alles und hatte sich einen kleinen Bauernhof eingerichtet. Doch mit vier Jahren bekam ich meinen ersten Asthmaanfall. Leider dachte der Arzt, ich hätte Bronchitis und verschrieb mir jahrelang Antibiotika. Erst ein Zufall rettete mich: Weil mein Vater Mazedonier ist, war ich als Siebenjährige dort in den Sommerferien. Da bekam ich erneut einen Anfall und bin fast erstickt. Wir rasten ins lokale Spital, der Arzt sah mich kurz an und sagte: «Ah, das Mädchen hat Asthma.» Es war Glück im Unglück. Ich wurde durchgetestet und es kam heraus, dass ich auf alles allergisch war, was Federn oder Fell hat. Für meine Mutter war das schlimm. Sie musste die
meisten Tiere weggeben. Trotzdem ist bei uns allen die Liebe zu Tieren tief eingepflanzt. Und irgendwann nach der Pubertät legten sich meine Allergien und damit das Asthma.

Die grösste Herausforderung bei unseren Projekten ist die Finanzierung. Einen Teil können wir über direkte Einnahmen finanzieren. Aber ohne Subventionen und die Unterstützung von Stiftungen sowie das freiwillige Engagement vieler Menschen – insbesondere meiner Eltern und meiner jüngsten Schwester – ginge es nicht. Meine Hauptaufgabe als Leiterin ist es, mich um administrative Belange zu kümmern und dafür zu sorgen, dass sich hier alle sicher und wohl fühlen. Wenn ich am Abend, nach einem langen Tag, allein vor dem Haus sitze, die Ziegen und grasenden Pferde vor mir, mit dem Kätzchen auf dem Schoss, dann bin ich der glücklichste Mensch der Welt.»

Text: Alexandra Rozkosny

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im Juni 2024

Die Unterstützung

Die Kinder in der Naturspielgruppe Tschüdanga brauchten einen Begegnungsort im Wald, der bei Regen gedeckt werden kann. Dank der Berghilfe konnte Jennifer mit ihrem Team ein Weidenhaus bauen, das bei Bedarf mit Planen regenfest gemacht wird.
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