Aus Freude am Fermentieren

Lebensmittel haltbar machen, ohne ihre wertvollen Inhaltsstoffe zu zerstören – dafür brennen Nina Gautschi und Manuel Lanini. Ihr Weg zum Ziel ist die alte Technik des Fermentierens.

Die Pastinake in Nina Gautschis Händen könnte man so nicht im Supermarkt kaufen. Sie erinnert weniger an ein überdimensionales Rüebli als an ein Unterwassergeschöpf mit vielen Tentakeln. So etwas schafft es nicht ins Regal der Grossverteiler. Für Ninas Zwecke spielt die Optik keine grosse Rolle. Ein paar rasche Schnitte mit dem Küchenmesser, dann fliegt der Sparschäler und kurz darauf liegt die Tentakel-Pastinake fertig gerüstet auf einem grossen Knollenhaufen.

«Wir versuchen, möglichst wenig wegzuwerfen», sagt Nina. Sogar die Schalen der Pastinaken werden noch verwendet. Die bekommen die Hühner einer Freundin, im Gegenzug gibt es ein paar Eier. Insgesamt 60 Kilo Gemüse rüsten Nina und ihr FreundManuel Lanini an diesem Nachmittag in den Räumen einer ehemaligen Bäckerei in Berzona im Onsernonetal. Bald schon wird daraus Kimchi, eine Art eingelegtes Gemüse nach koreanischer Art. Das Gemüse wird mit Gewürzen gemischt und in grossen Tonnen in Salzwasser eingelegt. Stimmen Zusammensetzung und Temperatur, beginnt schon bald der Prozess der Fermentation. Es bilden sich Milchsäurebakterien, die schädliche Keime unterdrücken oder abtöten. Das macht das Gemüse nicht nur haltbar, sondern sorgt auch für einen ganz typischen Geschmack.


Das Projekt in Kürze

  • Lebensmittelmanufaktur
  • Neuer Verarbeitungsraum
  • Berzona/TI

Nina und Manuel produzieren und verkaufen unter dem Namen «Semper Vivum» alle möglichen fermentierten Produkte. Sauerkraut, japanisches Miso, scharfe Saucen und natürlich Kimchi. Traditionell ist Chinakohl dessen Hauptbestandteil, und selbstverständlich hat «Semper Vivum» auch die klassische Variante im Angebot. Doch im Moment wächst im Tessin kein Kohl. Und weil es für Nina und Manuel Ehrensache ist, nur lokale Zutaten zu verwenden, mussten sie sich etwas einfallen lassen, um das ganze Jahr über produzieren zu können. «Wir haben viel ausprobiert und sind dabei auf die Pastinaken gestossen», sagt der gelernte Koch Manuel. Sein Urteil: «Schmeckt fast noch besser als mit Kohl.» Auch Nina hat grosse Freude am Pastinaken-Kimchi: «Es ist das beste Beispiel dafür, wie man sich die Globalisierung zunutze machen kann, um das Lokale zu fördern. Wir nehmen Rezepte und Verarbeitungsmethoden aus der ganzen Welt und passen sie an unsere lokalen Gegebenheiten an.»

Von der Höhle bis aufs Segelschiff

Mit ihren Produkten wollen Nina Gautschi und Manuel Lanini die alte Technik des Fermentierens neu aufleben lassen, etwa mit trendigem koreanischem Kimchi. Wie alt das Fermentieren ist, zeigt ein Blick ins «Lexikon der Steinzeit» von Emil Hoffmann. Dort liest man, dass auf dem Speiseplan der Steinzeitmenschen «fermentierter Mageninhalt von erlegten Tieren» gestanden habe. Dann die Zeitmaschine doch lieber so einstellen, dass man bei den alten Ägyptern rauskommt. Die waren wahre Meister im Fermentieren. Brot, Bier, Joghurt, Käse und Essig – alles entstand mit Hilfe von probiotischen Bakterien, die organische Stoffe umwandeln und dabei Säure, Gase oder Alkohol freisetzen. Im 17. Jahrhundert dann erfanden die Engländer «Ketchup». Was aber mit der heutigen Tomaten-Zucker-Sauce nichts zu tun hatte. Es war eine offenbar sehr würzige Flüssigkeit aus fermentiertem Fisch. Der Seefahrer James Cook hatte auf seinen Entdeckungsreisen im 18. Jahrhundert immer fässerweise Sauerkraut an Bord. Das schützte seine Seeleute zwar sehr effektiv vor der Vitaminmangelkrankheit Skorbut, sorgte mangels Abwechslung aber den Überlieferungen nach mehrmals fast für Meutereien.

Der Webshop läuft

Rund 100 Kilo fermentierte Spezialitäten verkauft «Semper Vivum» aktuell pro Monat. Vor allem in Bio-Läden und Spezialitätengeschäften im Tessin, aber immer mehr auch über den eigenen Webshop. Es ist ein Vielfaches dessen, was Nina und Manuel vor zwei Jahren verkauft hatten, als sie in ihrer Küche produzierten. Aber noch nicht genug, damit die beiden ihre Teilzeitjobs an den Nagel hängen und ganz vom Fermentieren leben könnten. Mit diesem Ziel haben sie vor einem Jahr den Schritt gewagt, die Räume der ehemaligen Bäckerei in Berzona gemietet und ihr gesamtes Erspartes in die Sanierung der Räumlichkeiten und den Kauf von Maschinen gesteckt.

Sie wollen nicht, dass ihr Projekt riesig wird. Dennoch ist der Schritt, ausschliesslich auf «Semper Vivum» zu setzen, nur ein Zwischenziel. Langfristig wollen Nina und Manuel neue, im abgelegenen Onsernonetal hochwillkommene Arbeitsplätze schaffen.
Aber nicht irgendwelche Arbeitsplätze. Nina: «Mein Traum wäre es, meine Leidenschaft für natürliche Lebensmittel mit meiner Ausbildung im sozialen Bereich zu verknüpfen und betreute Arbeitsplätze für beeinträchtigte Personen anzubieten.» Bis es soweit ist, wird sie aber noch einige Pastinaken schälen.

sempervivum.ch

Text: Max Hugelshofer

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im August 2023

Die Unterstützung

Beim Umzug in die Räume der ehemaligen Bäckerei in Berzona standen viele Sanierungsarbeiten und Investitionen in Mobiliar und Maschine an. Bei ihrem Schritt in die Professionalität konnten Nina Gautschi und Manuel Lanini auf die Unterstützung der Schweizer Berghilfe zählen. Möchten auch Sie unterstützen?
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