«Da entschieden wir uns beide aufs Ganze zu gehen»

Vom norddeutschen Flachland zog die junge Hella Schnider hinauf ins bergige Flühli, der Liebe wegen. Heute ist die inzwischen 57-jährige Hamburgerin nicht nur Bäuerin, sondern auch Gemeindepräsidentin, Kantonsrätin und Präsidentin der UNESCO Biosphäre Entlebuch.

«Ich wuchs in Hamburg auf, als Einzelkind in einer Akademikerfamilie. Mehrere Jahre verbrachten wir die Skiferien in Sörenberg. Da, am Skilift, lernte ich eines Tages den Vater meines zukünftigen Mannes kennen und über ihn dessen Sohn. Da wars um mich geschehen, obwohl er 12 Jahre älter war. Während meiner letzten Schuljahre vor der Matura verbrachte ich möglichst alle Ferien hier. Eigentlich wollte ich nachher Ägyptologie studieren. Mein Geliebter sagte mir bald klar, dass er sich jetzt eine Familie wünsche und nicht erst wenn ich fertig studiert hätte. Da entschieden wir uns beide aufs Ganze zu gehen. Ich zog 1987 direkt nach der Matura hierher, wir heirateten ein Jahr später, ich bekam vier Kinder und wurde Bäuerin. Bald nach der Heirat hat mein Mann den Hof übernommen. Ich lernte alles direkt beim Machen, für eine Ausbildung reichte die Zeit nicht.

Oft Zeit getrennt verbracht

Unser Hof hatte damals rund XX eigene Mutterkühe. Im Winter arbeitete mein Mann am Skilift für zusätzliche Einnahmen. Im Sommer waren wir z’Alp und es kamen die Guschti von drei anderen Betrieben hinzu, zusammen gab das etwa 50 Stück Vieh. Für meinen Mann und ich bedeuteten Winter wie Sommer jeweils fast ein aufgeteiltes Leben. Im Winter musste ich sehr viel Stallarbeit übernehmen und im Sommer war mein Mann von Mai bis September mit dem Vieh auf der Alp. Ich blieb mit den Kindern auf dem Hof. Am Anfang unterstütze uns der Schwiegervater viel. Doch nur zwei Jahre nach der Hofübernahme starb er überraschend. Das war ein Schlag für uns. Zum Glück besuchten mich meine Eltern sehr oft und sie halfen auch überall mit wo sie nur konnten. So schafften wir das irgendwie, bis die Kinder grösser wurden.

Sehr viel Handarbeit nötig

Ich reise auch sehr gerne – ganz im Gegenteil zu meinem Mann – und so besuche ich auch einmal im Jahr Hamburg, zuerst mit den Kindern, jetzt allein. Wirklich vermissen tue ich aber nur meine Freunde – und vielleicht an und ab ein Konzert. Ansonsten fühlte ich mich vom ersten Moment an zuhause hier in Flühli. Ich mochte auch die Arbeit mit den Tieren, die Nähe zur Natur. Aber es war hart. Wir machten einfach. Die Modernisierungen meines Sohnes, der jetzt den Hof führt, zeigen mir, wie viel Hand- und Beinarbeit wir leisten mussten. Ein einfaches Beispiel ist das «Bschütten», das Gülle ausbringen rund um unseren Hof. Die Wiesen liegen in einem steilen Hang. Wir mussten zu zweit und von Hand die Schläuche in die Wiesen ziehen. Es gab damals kein Fahrzeug, das die steilen Hänge hätte befahren können. Zum Umhängen musste einer von uns – meist ich – wieder hochrennen, den Hahn zudrehen, runter, umhängen, wieder hoch, anschalten. Auch hatten wir das Vieh in drei Ställen, trugen Futter und Einstreu rauf und runter. Da hat sich sehr viel getan, zum Glück.

Frei gewordene Zeit bald wieder gefüllt

Als Kinder etwas grösser wurden, blieb etwas mehr freie Zeit. Rückblickend sehe ich, dass da auch ein Bedürfnis nach neuen Aufgaben aufkam. Ich rutschte rein in die Verbandsarbeit, wurde Aktuarin des Entlebucher Bauernverbandes. Nach einem Jahr fragte man mich an, ob ich das Präsidium übernehmen würde. Da fand ich zuerst: ‹Nein, also das kann ich nicht, da weiss ich zu wenig›. Aber dann, ein Jahr später fasste ich mir ein Herz und sagte zu. Dann ging es weiter, ich wurde kantonal tätig im Bauernverband. Irgendwo auf diesem Weg merkte ich, dass es sich lohnt zu sagen, was man will. Wenn andere das nicht wollen, ist das ok. Aber immer mit den Ansprüchen ein bisschen unten rein, das geht bei mir nicht auf. Das ist ja oft die Taktik von Frauen. Klar wurde mir auch: Wenn ich etwas wirklich bewegen will, muss ich in die Politik. Ich wurde Gemeindepräsidentin von Flühli, dann Kantonsrätin und bin seit Anfang 2025 Präsidentin der Biosphäre Entlebuch

In Hamburg gab es schon Freunde, die hatten Mühe mit meiner Entscheidung, Bäuerin zu sein statt zu studieren. Oder auch, dass ich vier Kinder bekam. Das hat sich alles gelegt. Aber sie staunen heute noch über unsere Art der Demokratie in der Schweiz, darüber, dass wir alle über Entscheide abstimmen oder direkt das Parlament wählen. Viele meiner deutschen Freunde sagen, dass sie das in ihrem Land auch so möchten. Hier im Entlebuch bin ich einfach sofort aufgenommen worden. Ich denke, mit meiner direkten Art und meinem Humor komme ich oft gut an. Aber ja, es können dich nicht alle mögen. Damit kann ich inzwischen gut leben.»

Text und BIlder: Alexandra Rozkosny

Erschienen im September 2025