Adventskränze aus dem Schweinestall
Adventskränze selber binden? In ihren Floristik-Kursen zeigt Bergbäuerin Sonja Fuchs, wie das geht.
Adventskränze selber binden? In ihren Floristik-Kursen zeigt Bergbäuerin Sonja Fuchs, wie das geht.
In der Vorweihnachtszeit verwandelt sich der Hof von Familie Fuchs zu einer einzigen grossen Deko-Werkstatt. Aus der ganzen Ostschweiz kommen Interessierte, um unter der Leitung von Bäuerin Sonja Fuchs ihren ganz persönlichen Adventskranz zu kreieren.
Sieht gut aus, aber hier hat es noch ein Loch. Da musst du noch dran arbeiten.» «Pass auf, dass du die Drähte nicht zu eng nimmst. Sonst nimmst du dem Kranz die Luft.» «Wow! Schön wild. Das wird spannend beim Dekorieren.» Sonja Fuchs rotiert. Wie fast jeden Abend seit Anfang November. Sie geht von Teilnehmerin zu Teilnehmerin an ihrem Floristikkurs «Advents Traum», hat einen geübten Blick, einen Tipp, ein paar aufmunternde Worte für jede. Sie lacht mit ihren Kundinnen, gibt Ideen und verhindert zwischendurch die eine oder andere kleine Katastrophe. Es ist 21 Uhr an diesem frisch verschneiten Dezemberabend, draussen hat sich das Appenzellerland in eine eisige Märchenwelt verwandelt, und der liebevoll dekorierte Arbeitsraum im ehemaligen Schweinestall verströmt Gemütlichkeit und Wärme. Und Sonja scheint vor Energie zu sprühen. Dabei geht sie eigentlich schon ziemlich auf dem Zahnfleisch. «Gestern hatte ich mitten in der Verabschiedung der Kundinnen eine Art Sekundenschlaf. Zum Glück bin ich nicht Auto gefahren», lacht sie.
Seit einem Monat arbeitet Sonja fast ununterbrochen und bekommt viel
zu wenig Schlaf. Morgens früh versorgt sie die Kühe im Stall, weil ihr
Mann Hans schon auf dem Weg auf die Baustelle ist. Der Hof ist so klein,
dass Hans zusätzlich auswärts arbeiten muss. Tagsüber besorgt Sonja den
Haushalt, schaut, dass die Kinder rechtzeitig zur Schule gehen, etwas
zu Essen bekommen und ihre Hausaufgaben machen, wäscht, putzt, räumt
auf. Zwischendurch schlüpft sie immer wieder mal für eine Stunde in
ihren «Gada» und arbeitet an Bestellungen. Heute waren es ein Kranz für
eine Kirche, Gestecke für ein Restaurant und ein Weihnachtskranz für
eine Kundin. Am späten Nachmittag, wenn Hans von der Baustelle zurück
ist und die Arbeit im Stall übernimmt, geht es ans Vorbereiten für den
Abend. Alles aufräumen, die Vorräte an Dekomaterial aufstocken, den
Apréro für die Kursteilnehmerinnen vorbereiten. Dann, nach einem kurzen
Znacht, beginnt für Sonja der zweite Teil ihres Arbeitstages. Er wird
nicht vor Mitternacht zu Ende sein.
Der November ist für jede Floristin eine strenge Zeit, aber wenn man selbständig ist, einen Hof bewirtschaftet und drei Kinder hat, dann kommt man schon mal an seine Grenzen. Besonders, wenn das Geschäft gut läuft. Und dieses Jahr läuft es bei Sonja Fuchs sehr gut. So gut, dass sie mit ihrer Floristik inzwischen einen unverzichtbaren Beitrag zum Familieneinkommen leistet. Seit sie zu ihrem Hans auf den Hof ins Schlatt-Haslen ausserhalb von Appenzell gezogen ist, bietet Sonja Floristik-Kurse an. Früher hielt sie diese auswärts, in Kirchgemeindehäusern und Gemeinschaftszentren. «Aber die Fahrerei hat so viel Zeit gebraucht. Und ich konnte immer nur eingeschränkt Material mitnehmen », erinnert sie sich. Deshalb war da schon früh der Traum, auf dem Hof einen eigenen kleinen Kursraum einzurichten, von zu Hause aus arbeiten zu können und nicht immer pendeln zu müssen. Lange blieb der Traum nur ein Traum. Denn Platz war im alten, ungenutzten Schweinestall zwar vorhanden, aber der nötige Umbau wäre teuer gekommen. Zu teuer für die junge Bergbauernfamilie. Jahrelang vertröstete sich Sonja selbst, nahm die langen Wege in Kauf, sagte Interessentinnen aus Kapazitätsgründen ab. Bis sie sich ein Herz fasste und bei der Schweizer Berghilfe um Unterstützung anfragte. Der ehrenamtliche Experte Peter Pauli besuchte sie vor Ort und sah sofort das Potenzial: «Der eigene «Floristik-Gada» wäre die perfekte Möglichkeit für Sonja Fuchs, einen wichtigen Beitrag zum Familieneinkommen zu erwirtschaften, ohne dafür Hof und Kinder alleine lassen zu müssen.» Er empfahl das Projekt zur Annahme, und schon kurz darauf erhielt Sonja die Zusage. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. «Ohne die Berghile wäre es nicht gegangen.»
Langsam treffen die Kundinnen ein. Sonja kennt viele bereits von früheren Kursen, es hat aber auch immer wieder neue Gesichter darunter. Der Vorplatz verwandelt sich rasch in einen fast schon national durchmischten Parkplatz. Die Autos tragen nicht nur Nummernschilder aus den beiden Appenzell, sondern auch aus Sankt Gallen, Thurgau, Zürich, Schwyz und sogar Aargau. Es hat sich herumgesprochen, dass bei Sonjas Kursen jede etwas Schönes nmit nach Hause bringt. So ist es auch diesen Abend. Als sich die Kursteilnehmerinnen nach 23 Uhr auf den Weg in die kalte Winternacht machen, hat jede einen Adventskranz unter dem Arm. Jede einen komplett anderen.