Dem grünen Zaubertrank auf der Spur

Im Unterengadin setzt seit Jahrhunderten fast jede Familie ihren eigenen Iva an – einen Likör aus der Heilpflanze Moschus-Schafsgarbe. Doch damit es die Spezialität im Laden zu kaufen gab, brauchte es einen Unterländer: Andi Brechbühl.

«Dort unten am Bach könnte ein guter Platz sein. Die Iva, das Heilkraut mit guter Wirkung gegen Magenverstimmungen, hat es gerne karg. Sie wächst am besten auf über 2000 Meter Höhe, in der Nähe von Gletschern oder Geröllhalden.

Inzwischen kenne ich die besten Plätze im Unterengadin. Aber man sollte nicht zu oft am selben Ort ernten. Das darf ich auch gar nicht. Ich habe eine offizielle, gewerbliche Sammel-Lizenz vom Kanton, und die ist mit vielen Auflagen verbunden. Ich darf an einer Stelle zum Beispiel höchstens die Hälfte der vorhandenen Pflanzen abernten. Darum bin ich immer auf der Suche nach neuen Orten, an denen die Iva, oder Moschus-Schafsgarbe, wie sie auf Deutsch heisst, wächst. Hier im Val Tuoi oberhalb von Guarda war ich schon länger nicht mehr. Aber es sieht nicht schlecht aus. Nach nur einer halben Stunde Fussmarsch schon so eine schöne Iva-Population zu finden, ist nicht selbstverständlich.

Das Projekt in Kürze

  • Iva-Manufaktur
  • Einrichtung
  • Tschlin/GR

Da ist mir auch schon anderes passiert: Ein Bekannter ist von einer Bergtour zurückgekommen und hat mir von einem riesigen Iva-Feld vorgeschwärmt. Also bin ich bei der nächsten Gelegenheit los. Es war steil und hat ewig gedauert, bis ich an dem abgelegenen Ort angekommen bin. Nur um herauszufinden, dass es sich bei den dort wachsenden Pflanzen gar nicht um Iva, sondern um die verwandte schwarzrandige Schafsgarbe handelte. Die sieht fast gleich aus, aber wenn man sie zwischen den Fingern verreibt, passiert gar nichts. Macht man das mit der echten Iva, dann setzt man sofort einen sehr intensiven Geruch frei. Diesen Geruch in Flaschen zu bannen, darum geht es mir beim Iva-Likör.

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Iva passt immer

Ich weiss gar nicht mehr, wann ich zum ersten Mal Iva getrunken habe. Wahrscheinlich an irgendeinem Fest hier im Tal oder als ich mit einheimischen Freunden auf einer Wanderung war. Egal was los ist, fast immer hat jemand eine Flasche mit Iva dabei. Die Jagd würde ohne Iva wohl nicht stattfinden. In beinahe jeder Familie hat es jemanden, der den Likör selbst herstellt.

Mich hat das komische, giftgrüne Getränk, das schmeckt wie nichts anderes und so eine spannende Geschichte hat, sofort fasziniert. Ich bin da etwas vorbelastet. Ich komme aus der Lebensmittelbranche und habe unter anderem jahrelang Fair-Trade Schokolade produziert. Wir reisten nach Afrika und Südamerika, kauften bei Kleinbauern Kakao ein, stellten in der Schweiz dann die Schokolade her, machten die Verpackung selbst. Alles von A bis Z Handarbeit. Als ich durch den Beruf meiner Frau ins Unterengadin kam, wollte ich etwas Ähnliches auch hier machen. Da hat sich Iva-Likör fast aufgedrängt. Der Vorteil daran ist, dass er relativ einfach herzustellen ist. Man braucht Alkohol, Zucker, Wasser und Ivapflanzen. Dazu ein paar geeignete Behälter und etwas Zeit. Fertig.

Zumindest theoretisch. In der Praxis gibt es doch einige Dinge, die schief gehen können. Das musste ich bei den ersten Chargen feststellen. Doch inzwischen läuft alles recht routiniert ab. Wichtig ist eine saubere Arbeitsumgebung. Die habe ich nun im Verarbeitungsraum im Keller unseres Wohnhauses, wo bis vor einigen Jahren eine Brauerei untergebracht war. Ich gebe das Kraut und den Alkohol in einen Behälter und lasse alles ziehen, bis die Flüssigkeit eine schöne, giftgrüne Farbe hat. Dann wird gesiebt, Zucker hinzugefügt, mit Wasser verdünnt. Und danach alles in Flaschen abgefüllt. Schöne Flaschen, die ein bisschen so aussehen, als ob sie aus einer alten Apotheke stammen. Auch das Etikett ist wertig, handgemacht. Das schätzt meine Kundschaft. Ich verkaufe meinen Iva an einige Getränkehändler im Unterland und über die eigene Website. Das meiste geht aber in den Läden hier im Tal über die Theke. Was mich besonders freut: Nicht nur Gäste greifen zu, sondern auch die Einheimischen.»

miaiva.ch

Text: Max Hugelshofer

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im Mai 2022

Die Unterstützung

Beim Aufbau seiner Iva-Manufaktur musste Andreas Brechbühl nicht nur Geräte und Gebinde anschaffen, sondern auch einen Raum in der ehemaligen Bierbrauerei so zurechtmachen, dass er den Ansprüchen der Lebensmittelkontrolle genügt. Dabei unterstütze ihn die Berghilfe. Möchten auch Sie unterstützen?
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