Ein Toggenburger im Urner Geissenparadies
Christian Näf hat auf der Göscheneralp ein Paradies gefunden. Für sich und seine Geissen.
Christian Näf hat auf der Göscheneralp ein Paradies gefunden. Für sich und seine Geissen.
Im Winter ist der Weiler Gwüest nur zu Fuss, per Tourenski oder auf Raupen zu erreichen. Der neue Quad mit Raupenantrieb war für Christian Näf kein Luxuskauf, sondern eine dringende Notwendigkeit.
Es ist mucksmäuschenstill im Weiler Gwüest auf der Göschenenalp im Kanton Uri. Alles Leben scheint eingefroren und unter einer dicken Schneeschicht begraben zu sein. Von den 15 Menschen, die das ganze Jahr über hier leben, sieht und hört man im Moment nichts. Da plötzlich ein Motorengeräusch. Es kommt immer näher, und in eine kleine Schneewolke gehüllt kommt ein gelb-schwarzes Etwas um die Biegung. Als das Ding anhält und die dick eingepackte Gestalt vom Sattel springt, zeigt sich: Das Etwas ist ein Quad, also ein Vierradtöff. Statt Räder sind aber vier kleine Raupen montiert, mit denen sich das Gefährt auch durch den tiefsten Schnee wühlen kann. Der Fahrer entpuppt sich nach dem Ablegen der verschneiten Jacke als Christian Näf, Bergbauer und passionierter Geissenzüchter. Der 28-Jährige hält auf der Göscheneralp rund 90 Ziegen, produziert im Sommer Käse und für Ostern Gitzis. Während der Alpzeit kommen zu den eigenen Tieren jeweils noch etwa 30 Ziegen und 25 Ziegenböcke dazu.
Ursprünglich stammt Christian aus dem Toggenburg. Das ist immer noch unüberhörbar. Er redet schnell, laut und würzt seine Sätze gerne mit dem einen oder anderen kernigen Kraftausdruck. Dass seine Zukunft hier oben auf der Göscheneralp liegt, war für Christian bereits als kleiner Bub klar. Das erste Mal ins Gwüest kam er mit seinen Eltern, als sie Onkel und Tante besuchten. Diese verbringen seit mehreren Jahrzehnten jeweils zwei Wochen im Sommer hier und helfen in dieser Zeit einer befreundeten Bergbauernfamilie beim Heuen und all den anderen Arbeiten, die auf einem Bergbauernhof so anfallen. Christian verliebte sich sofort in die Geissen und die schöne Natur. Von da an war für ihn das Reiseziel fast jeder seiner Ferien klar – auch wenn die Eltern andere Pläne hatten. So reiste der Schüler schon bald alleine zur Bergbauernfamilie, packte dort kräftig mit an und besass als Zehnjähriger bereits seine eigenen Geissen. Keine Frage, dass er Landwirt lernte. An die Lehre hängte er noch eine zweijährige Zimmermannsausbildung an, ging für zwei Sommer auf eine Kuh- und eine Ziegenalp, um Erfahrungen zu sammeln. Dann war er gerüstet für das Leben auf der Göscheneralp.
Er übernahm von der befreundeten Bergbauernfamilie den Hof in Pacht und zog definitiv ins Urnerland. Gut fünf Jahre lang lebte seine Freundin mit ihm auf dem Hof zusammen. Die beiden hatten gemeinsame Pläne, wollten eine Familie gründen. Christian kaufte ein zweites Heimet etwas weiter unten im Göscheneralptal, um dort später einen Laufstall für seine Geissen zu bauen. So müssten später, wenn einmal Kinder da wären, diese nicht so einen langen und gefährlichen Schulweg auf sich nehmen. Im vergangenen Frühjahr ging allerdings die Beziehung auseinander. «Weniger Arbeit ist es deswegen nicht geworden», so Christian. Oft hat der Tag nicht genug Stunden. Doch Christian gibt nicht auf. «Ich habe einen starken Willen. Es kommt schon alles zum Rechten, davon bin ich überzeugt.»
Der neue Raupenquad war ein wichtiger Schritt dazu. Jetzt im Winter ist er das einzig passende Fortbewegungsmittel. Die Strasse ins Tal wird nicht geräumt. Das würde auch meistens nichts bringen. Denn die Strasse führt einem gefährlichen Lawinenhang entlang. Im Winter kann man nur den alten Saumweg benutzen, der auf der anderen Talseite entlang führt. Ein Auto ist dann völlig nutzlos. Für grössere Warentransporte besitzen die Einwohner des Weilers gemeinsam ein kleines Pistenfahrzeug. Die meisten Göschenenälpler sind im Winter mit Schneemobilen, sogenannten Ski-Doos unterwegs. Der Vorteil des Quads ist aber, dass ihn Christian auch im Sommer gebrauchen kann, etwa um Zaunmaterial zu transportieren. Christian besass von Anfang an einen Quad, allerdings war dieser zu wenig leistungsstark für den Raupenbetrieb im Winter. Er machte ständig Probleme. «Hier oben brauche ich aber eine Maschine, die zuverlässig funktioniert», sagt Christian. Als der alte Quad dann ganz kaputt ging, ermöglichte es die Unterstützung der Schweizer Berghilfe Christian, ein etwas grösseres, leistungsstärkeres Fahrzeug anzuschaffen. Der neue Quad muss deshalb im tiefen Schnee nicht immer unter Volllast arbeiten. So verspricht er eine deutlich längere Lebensdauer als beim Vorgänger.
Im Winter ist der Quad fast täglich im Weiler Gwüest im Einsatz. Aus dem Tal heraus geht es aber nicht allzu oft. Zwischendurch kommt es vor, dass wegen grosser Lawinengefahr über mehrere Tage hinweg das Tal von der Umwelt abgeschnitten ist. Dann sind die 15 Bewohner des Weilers auf sich alleine gestellt. Doch das macht Christian nicht viel aus. «Ich habe Lebensmittelvorräte für den ganzen Winter hier, und meinen 90 Geissen fehlt es auch an nichts. Kritisch kann es höchstens werden, wenn zum Beispiel der Tierarzt gebraucht wird. Dann ist es von Vorteil, wenn man eine gut ausgestattete Stallapotheke und ein geschicktes Händchen hat.»