Eine Mühle für das Popcorn-Mehl

In Vergeletto im Onsernonetal wird in einer alten Mühle traditionelles Maismehl hergestellt.

Der Tessiner Ilario Garbani hat die Tradition der Farina Bóna wieder aufleben lassen und so auch das Onsernonetal wieder etwas belebt. Er hat das Geheimnis um das Maismehl aus dem 18. Jahrhundert gelüftet: die Röstmethode, durch die das Mehl seinen einzigartigen Geschmack bekommt.

Vergeletto im Onsernonetal hat knapp 60 Einwohner, einen kleinen Dorfladen, eine Kapelle und ein Kino. Ein Kino? Jedenfalls riecht es in den schmalen Gassen zwischen den kleinen Steinhäusern nach Popcorn. Wer der Nase nach geht, landet aber nicht in einem Kino. Sondern in einem Haus, das Ilario Garbani zur Mühle umfunktioniert hat. Hier steht eine alte Kaffeeröstmaschine, mit der Ilario Maiskörner röstet. Ungefähr ein Drittel der Körner platzt dabei auf zu Popcorn. Die abgekühlten Körner füllt Ilario in einen Sack und leert sie dann mitsamt dem Popcorn in eine kleine elektrische Mühle, wo sie zu einem ganz speziellen Mehl gemahlen werden. Zur traditionellen Farina Bóna.

Die beste Farina Bóna machte die Müllerin Annunciata Terribilini, genannt Nunzia. Ihr gehörte eine von fünf Mühlen am Bach in Vergeletto. Sie produzierte die Farina Bóna, bis sie 1957 starb und ihr Geheimnis zur Herstellung des Mehls mit ins Grab nahm. Seither stand die Mühle still und zerfiel.

«Ich fand das schade. Ich wollte, dass das Mehl als Kulturgut erhalten bleibt», sagt Ilario Garbani. Der Primarlehrer fing an, mit seiner Klasse zu experimentieren, um dem Geheimnis der Farina Bóna auf die Spur zu kommen. «Wir machten verschiedene Versuche, rösteten die Körner im Backofen und mahlten sie.» Dann brachten die Kinder das Mehl zu alten Leuten in Vergeletto. Diese sagten, sie hätten es geschafft, das Mehl schmecke wie bei Nunzia. «Das Geheimnis ist das Popcorn», sagt Ilario. Weil es mitgemahlen wird, bekommt das Mehl seinen unvergleichlichen Geschmack.

Das Projekt in Kürze

  • Verein Associazione Mulini di Vergeletto
  • Restauration der Mühle
  • Vergeletto/TI

Das Geheimnis des Mehls war nun gelüftet. Garbani wollte, dass es nicht wieder in Vergessenheit geriet, er suchte einen Weg, es regelmässig zu produzieren. Da kam ihm die Idee des Gemeindepräsidenten Vergelettos gelegen. Cristiano Terribilini, ein Nachkomme Nunzias, wollte deren alte Mühle aus dem 18. Jahrhundert restaurieren. Er und Ilario gründeten den Verein Associazione Mulini di Vergeletto. Nun fehlte nur noch das Geld für das Projekt. Die Vereinsmitglieder griffen selbst ins Portemonnaie, Cristiano und Ilario fanden auch einige Geldgeber, doch es kam nicht genug zusammen. Erst mit dem Beitrag der Schweizer Berghilfe konnte der Verein die Mühle fertig restaurieren.

Jetzt sind die Arbeiten abgeschlossen und Ilario Garbani will dieses Jahr Versuche mit der neuen Mühle starten, um die Farina Bóna ganz fein mahlen zu können. Das klappt im Moment noch nicht. Deshalb mahlt Ilario vorerst kleine Mengen in der elektrischen Mühle und die grossen Produktionen für Migros, Manor und Coop in einer Industriemühle in Agno. Ziel ist, bald alle 4000 Kilo Maismehl, die Ilario jährlich verkaufen kann, in Nunzias restaurierter Mühle zu mahlen. Dadurch soll in Vergeletto auch ein neuer Arbeitsplatz entstehen.

«Die Farina Bóna ist eine Chance für Vergeletto und das ganze Onsernonetal», sagt Ilario. Es sei wichtig, das Kulturgut des Tals zu erhalten. «Zudem ist es einfach ein gutes Produkt. Nicht nur für das 19. Jahrhundert, sondern auch für die Zukunft. Köche in Fünfsternehotels verwenden meine Farina Bóna bereits. Es ist etwas Einmaliges in der Schweiz.»

Etwas problematisch ist, dass viele Leute nicht so richtig wissen, was sie mit dem Mehl machen sollen. Polenta kann man daraus nicht kochen, man benutzt es ähnlich wie normales Weizenmehl. «Es gibt unzählige Möglichkeiten», sagt Ilario. Er kennt Rezepte für Kekse, Kuchen, Grissini, Teigwaren, Bier, Jogurt und Liköre. Man kann es einfach mit Milch essen oder im Birchermüesli oder kann es dazu verwenden, Fleisch zu panieren. Thomas Lucas, ein Freund Ilarios, stellt aus dem Mehl «Bonella» her, einen Brotaufstrich als Alternative zu Nutella, der leicht nussig und ein bisschen nach süssem Popcorn schmeckt. Es gibt sogar Farina-Bóna-Glace mit der aussergewöhnlichen Geschmacksrichtung «Popcorn». Doch Ilario Garbani will sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. «Ich habe noch viel vor mit der Mühle in Vergeletto.»

farinabona.ch

Text: Max Hugelshofer

Bilder: Yannick Andrea

Erschienen im März 2013

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