Die Lawinen im Griff
Naturgefahren sind in den Bergen allgegenwärtig. Familie Häfliger hatte Winter für Winter mit Lawinen zu kämpfen.
Naturgefahren sind in den Bergen allgegenwärtig. Familie Häfliger hatte Winter für Winter mit Lawinen zu kämpfen.
Hält der Schnee? Rutscht er? Der Winter war jahrzehntelang eine unsichere Zeit für Familie Häfliger. Eine Lawinenverbauung aus 100 «Ogi-Böcken» macht die Zufahrt zu ihrem Bergbauernbetrieb nun sicher.
Bei solchem Wetter wie heute hatten wir immer ein ungutes Gefühl», erinnert sich Ruedi Häfliger. Der Wind weht um das kleine Wohnhaus, das am steilen Hang klebt, die Sicht beträgt gerade mal zehn Meter. Das Haus selbst und der Stall stehen zwar sicher, aber die Zufahrt wurde regelmässig von kleinen Lawinen verschüttet. Wenn jeweils eine grosse Menge Schnee herunterkam, waren Häfligers oft tagelang von der Aussenwelt abgeschnitten, bis eine Schneeschleuder die Strasse wieder öffnen konnte. Verletzt wurde zum Glück nie jemand. Aber einen Schrecken haben Ruedi und seine Frau Agnes ein paar Mal bekommen. «Einmal war ich im Stall und hörte die Lawine kommen. Ein paar Minuten später bin ich rausgegangen zum Nachschauen. Da sah ich auf der anderen Seite des Kegels Reifenspuren, die in der Lawine verschwanden», erinnert sich Ruedi. «Der Pöstler!», sei ihm durch den Kopf geschossen. «Den hat es runtergerissen.» Sofort kletterte Ruedi so weit es ging den steilen Hang unterhalb der Strasse hinunter. Aber wegen der schlechten Sicht entdeckte er nichts. Lag der gelbe Fiat Panda irgendwo dort unten im Wald? Ein Anruf in der Beiz im Dorf unten brachte die Entwarnung. Dort sass der Pöstler beim Mittagessen. Als er den Lawinenkegel sah, hat er den Rückwärtsgang eingelegt und ist in seiner eigenen Spur wieder bergab gefahren. Darum sah es so aus, als höre die Spur in der Lawine auf. «Ich war unglaublich erleichtert», so Ruedi.
Nach diesem Erlebnis war für Ruedi und Agnes klar: Wir müssen etwas unternehmen, bevor doch noch etwas geschieht. Sie setzten sich mit Gemeinde und Kanton in Verbindung. Aber an beiden Stellen hatte man keine Ahnung. Lawinenverbauungen braucht man im Kanton normalerweise nicht.
Die Luzerner Ämter holten sich Hilfe auf der anderen Seite des Napfs, bei den Bernern. Und bald war klar, dass die Lösung für das Problem der «Ogi-Bock» war. Ein Dreieck aus Holz, in ganz bestimmtem Winkel im Hang verankert, benannt nach seinem Erfinder, dem Vater von alt Bundesrat Adolf Ogi. 100 Stück davon waren nötig, um den Hang bei Häfligers zu sichern. Die Ogi-Böcke sind simpel und vergleichsweise günstig. Den Hang zu sichern kostete insgesamt aber doch gut 30 000 Franken. Den grössten Teil der Kosten würden Kanton und Gemeinde übernehmen, aber knapp die Hälfte davon blieb an Häfligers hängen. Zu viel für die Bergbauern. «Wir haben praktisch kein Erspartes. Und seit Ruedi vor ein paar Jahren eine schwere Lungenkrankheit hatte und seither den Heustaub im Stall nicht mehr verträgt, sind auch unsere Einnahmen etwas zurückgegangen», so Agnes. Seit Ruedis Therapie und Genesung teilen sich die beiden die Arbeit in Haushalt und Stall. Weil eine Beibehaltung der Rinderhaltung aber zu streng und arbeitsintensiv gewesen wäre, stellten sie auf Schafe um. «Wir hatten schon lange ein paar Schafe, und ich kam mit ihnen immer gut klar», sagt Agnes. Heute blöken im ehemaligen Kuhstall ungefähr 65 Muttertiere und nach Weihnachten auch ihre Lämmer. «Die Schafe geben uns im Winter viel Arbeit, aber dann haben wir ja Zeit für sie», sagt Agnes. «Uns gefällt die neue Arbeit, und wir kommen auch gut über die Runden, aber übrig bleibt nicht viel am Ende des Monats», so Agnes.
Ohne Unterstützung würde der Traum von der sicheren Zufahrt also ein Traum bleiben. Häfligers fragten bei der Schweizer Berghilfe an, mehr als ungewiss, ob ihr Gesuch bewilligt werden würde. «Ich habe mal irgendwo gehört, dass die Berghilfe keine Lawinenverbauungen unterstützt», sagt Agnes. Umso grösser war die Erleichterung, als der positive Bescheid kam. Normalerweise ist der Lawinenschutz Aufgabe der öffentlichen Hand, und die Berghilfe leistet tatsächlich keine Unterstützung. Wenn aber wie bei Häfligers Private auf Restkosten sitzen bleiben, dann hilft die Berghilfe auch bei Lawinenverbauungen. Zum Glück für Häfligers. Denn sie geniessen es, endlich ohne Angst zu ihrem Haus und wieder wegfahren zu können – auch wenn sie es sich wohl ihr Leben lang nicht abgewöhnen können, auf den früher gefährlichen 50 Metern immer den Hang im Blick zu haben. Und das Schönste: «Jetzt sieht es sogar so aus, als ob unser Sohn mit seiner Frau den Betrieb doch übernehmen wird. Wegen der Lawinensituation waren sie vorher immer skeptisch.»