Parallel begann ich mich immer mehr für die Geschichte unseres Tals zu interessieren. Gadmer waren bis vor rund 50, 60 Jahren fast alle arm, sie lebten von der Landwirtschaft. Mein Grossvater hatte noch erlebt, wie Menschen hier verhungerten, aber das nannte man nicht so. Das hiess «verelenden», und das passierte vor allem alleinstehenden, alten Menschen. Allgemein hielt sich damals das Mitleid der Mitmenschen in Grenzen. Alle waren viel härter zueinander. Es gab ja nur wenige, die mehr als grad das Nötigste besassen. In den Gemeindesprotokollen habe ich gelesen, dass die ganz Armen um 1880 etwa 5 Franken pro Monat erhielten, zu einer Zeit als das Brot 20 Rappen pro Laib kostete. Viele Junge verliessen das Tal. Zum Beispiel als Flösser. Sie fuhren mit dem Holz von hier oben bis hinunter nach Rotterdam. Etliche kamen nicht mehr zurück, weil sie unterwegs ein hübsches Meitschi kennenlernten oder neue Arbeit bekamen. Wir haben darum seit lange eine starke Abwanderung. Am meisten Einwohner hatte es hier um 1880 mit rund 760 Einwohnern. In meiner Amtszeit als Gemeindepräsident Mitte der 1990er-Jahre waren es noch rund 300, bei der Fusion mit Innertkirchen im Jahr 2013 nur noch knapp 230.
Die Gemeindefusion war richtig, es leben ja immer weniger Menschen und viele Alte in Gadmen. Aber unser Tal und unsere Kultur ist am Verschwinden, viele Begebenheiten, Tätigkeiten und Geschichten nehmen die Leute mit ins Grab. Es geht sehr viel verloren. Darum habe ich schon vor Jahrzehnten angefangen, Fotos, Pläne, Aufzeichnungen, aber auch viele alltägliche Gegenstände zu sammeln. Von jedem Stück meiner Sammlung kenneich die Geschichte, viele sind berührend, andere auch traurig. Wir haben zum Beispiel einen Holzofen, kaum gross genug für einen Topf. Darauf kochte eine Frau für ihre zehnköpfige Familie. Mehr hatten die nicht. Inzwischen lebe ich leider nicht mehr hier im Dorf. Besuche und Arzttermine wahrzunehmen, das wurde mit den öV einfach zu schwierig. So wohne ich nun mit meiner Frau in Brienz, in der Nähe meines Sohnes. Aber mein Herz, das gehört immer noch Gadmen.»