Die Biosphäre zwischen den Zehen

Das Entlebuch darf sich in eine Reihe stellen mit den Yellowstone Nationalpark oder der Camargue – all diese Gebiete sind UNESCO-Biosphären. Warum das Entlebuch so besonders ist, dass es weltweit als schützenswert gewertet wird, erfährt man am besten im Moor oberhalb von Sörenberg. Wie eine Schulklasse aus Uster.

Begeistert springen die Jungs und Mädchen auf und ab, dass das schlammige Wasser nur so spritzt. Ein Wettkampf bahnt sich an, wer die Stelle findet, an der er mit den Beinen am tiefsten im Moor versinkt. «Sick, wie der Schlamm zwischen den Zehen durchflutscht», ruft einer. «So ein geiles Gefühl», pflichtet ihm seine Klassenkameradin bei. Dass bei der Aktion die Kleider verspritzt werden und Dreck an den Beinen klebenbleibt – geschenkt. Und dass sie es zehn Minuten vorher noch eklig fanden, ihre Schuhe und Socken auszuziehen und barfuss zu laufen, haben die Schülerinnen und Schüler längst vergessen.

«Ich kann lange übers Moor erzählen», sagt Armin Thalmann. «Aber was den Jugendlichen wirklich Eindruck macht und in Erinnerung bleibt, ist das unmittelbare Erleben des Moors. Barfuss und mittendrin.» Armin ist ausgebildeter Wanderleiter und arbeitet bei der Biosphäre Entlebuch als Moor-Führer. Heute hat er eine zweite Sekundarklasse aus Uster im Kanton Zürich mitgenommen, die ihr Klassenlager in der Region verbringt. Er hat den Jugendlichen auf der kurzen Wanderung gezeigt, welche im Moor wachsende Pflanze bei Gelenkschmerzen hilft (Schachtelhalm) und erklärt, wie man erkennt, ob man sich in einem Hoch- oder Flachmoor befindet (je nachdem, ob die Wollgräser einen oder mehrere Blütenstände haben). Aber vor allem hat er sie dazu ermuntert, das Moor selbst zu erleben.

Dass das Entlebuch zur UNESCO-Biosphäre erklärt wurde, daran haben die Moore einen grossen Anteil. Als 1987 die Rothenthurm-Initiative zum Moorschutz angenommen wurde, schien vor allem für die Entlebucher Bauern eine Welt zusammenzustürzen. Sie verloren Nutzflächen, weil diese unter Schutz gestellt wurden. Doch statt nur zu jammern, schafften sie es, das Positive zu sehen und vorwärtszugehen. Denn eine zertifizierte Biosphäre schützt nicht nur die einzigartige Natur, sie ermöglicht es auch, Produkte besser in Wert zu setzen und hat grosses touristisches Potenzial. Heute funktioniere das Zusammenspiel zwischen Landwirtschaft, Tourismus und Gewerbe sehr gut, meint Armin. Und es gäbe im Entlebuch wohl niemanden, der die Biosphäre ernsthaft wieder auflösen wolle.

Wenn er übers Entlebuch spricht, merkt man, dass es ihm eine Herzensangelegenheit ist. Armin freut sich ehrlich darüber, dass fast zehn Prozent der Fläche unter Naturschutz stehen und dass so der Lebensraum vieler seltener Tier- und Pflanzenarten erhalten bleibt. Er ist aber auch aufrichtig stolz darauf, dass wohl schon fast jeder Schweizer und jede Schweizerin bereits Entlebucher Kräuter konsumiert hat – beim Lutschen eines Ricola-Bonbons.

Die Jugendlichen stehen immer noch barfuss im Moor. Armin hat mit einem Spaten ein Rasenziegel-artiges Stück herausgestochen. Als es die Runde von Hand zu Hand macht, staunen die Schülerinnen und Schüler darüber, wie schwer es ist. Noch mehr aufgerissene Augen und ungläubige Ausrufe gibt es, als Armin einen Schüler eine Sonde in den Boden stecken lässt. Sie erinnert an eine Zeltstange, ist 3,5 Meter lang, und sie verschwindet vollständig im Moor, ohne auf die darunterliegende, harte Lehmschicht zu stossen. Anschaulicher geht Biologieunterricht nicht.

Text und Bilder: Max Hugelshofer

Erschienen im September 2025

Berghilfe unterwegs in Gadmen
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